Biodiversität: Der Hidden Champion und Risikofaktor in der Immobilienbranche

06.11.2024

Autor

Jürgen Utz

Jürgen Utz

Leiter Nachhaltigkeitsentwicklung

LIST AG

Blogbeitrag

Biodiversität: Der Hidden Champion und Risikofaktor in der Immobilienbranche

In der aktuellen Debatte der Immobilienbranche dominieren Themen wie ESG, Baukosten, Zinsentwicklung und geopolitische Fragen. Viele dieser Aspekte sind eng miteinander verbunden. Doch ein oft übersehenes Element ist die Biodiversität. Sie ist nicht nur eine Grundvoraussetzung für Erfolge beim Klimaschutz, sondern auch entscheidend für Klimaresilienz, Ressourcenschonung und den langfristigen Werterhalt von Immobilien.

Die Bedeutung von Biodiversität und Ökosystemleistungen

Biodiversität umfasst die Vielfalt an Genen, Arten und Ökosystemen und ist ein integraler Bestandteil gesunder und stabiler Ökosysteme. In der Immobilienbranche ist ihr Beitrag oft unterschätzt.

Auch die Ökosystemleistungen (ÖSL) sind für Immobilien und deren Nutzer essenziell. Global hängen von ihnen mehr als 50% des GDP ab. Und das ist nicht alles: Schauen wir auf die Bedeutung von Actinomyceten. Diese Gattung der Bakterien erfüllt im Boden viele Funktionen und ist mit für den Stoffwechsel verantwortlich. Sie dienen auch als Grundlage für Antibiotika. Zudem ist der Boden der artenreichste Lebensraum! Auf 1m² gesundem Boden findet man in den oberen 30cm etwa 100 Regenwürmer, 10.000 Rädertierchen, 30.000 Borstenwürmer, 50.000 Springschwänze, 700.000 Milben, je eine Million Wimpertierchen und Fadenwürmer, zehn Millionen Wurzelfüßer, 100 Millionen Geißeltierchen und Algen, 100 Milliarden Pilzen, zehn Billionen Actinomyceten und 100 Billionen sonstige Bakterien. Dieser Verbund bindet CO2, filtert Wasser, sichert fruchtbaren Boden und leistet vieles mehr. Verlieren wir diese ÖSL weiter, wird auch das Klima instabiler – ein negativer Kreislauf. Der Verlust an Biodiversität kann daher gravierende ökonomische Folgen haben. In Europa sind bereits 20 % der bekannten Arten vom Aussterben bedroht. Doch jede Art erfüllt eine Funktion im Ökosystem, die nicht einfach ersetzt werden kann. Wann ein Ökosystem welche Leistung einbüßt oder ganz kollabiert, wissen wir nicht genau. Diese Risiken wirken auch auf Immobilienwerte und die Betriebsfähigkeit von Gebäuden.

Neue Regulatorik und Berichtspflichten

Die Politik hat diese Risiken erkannt und wichtige Schritte eingeleitet: Mit der EU-Biodiversitätsstrategie, dem Nature Restoration Law und der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sowie durch die Anforderungen der EU-Taxonomie wird Biodiversität zunehmend in die Berichterstattung und Planung integriert. Unternehmen müssen nun klar aufzeigen, wie ihr Geschäftsmodell von Ökosystemen abhängt und welchen Einfluss es auf Biodiversität nimmt. Die Immobilienbranche hat die Aufgabe, ihre Wertschöpfungsketten anzupassen und Biodiversität als festen Bestandteil der Geschäftsstrategie zu integrieren.

Chancen für nachhaltige Geschäftsmodelle

Diese Integration in die Immobilienplanung – sowie auch Entwicklung, Bau und Betrieb – bietet zahlreiche Chancen. Grüne Immobilien sind klimaresilienter, ressourceneffizienter und wirken sich positiv auf Wirtschaftlichkeit und ihren langfristigen Werterhalt. Es wird deutlich: Die Immobilienbranche muss Biodiversität als wesentlichen Faktor in ihre Planungs- und Entscheidungsprozesse einbeziehen. Es geht dabei nicht nur um das Erfüllen der Reportinganforderungen, sondern darum Risiken zu minimieren und Chancen zu nutzen. Biodiversität ist mehr als nur ein "Nice-to-Have" – sie ist ein entscheidender Faktor für zukünftigen Erfolg und Nachhaltigkeit in der Immobilienbranche.

Aus der Praxis:

Die Möglichkeiten für den Erhalt und Schutz von Biodiversität in einem Immobilienprojekt sind dabei durchaus gegeben. Ein echtes Gesamtkonzept gelingt am besten, wenn Biodiversität ab Leistungsphase 0 integriert und Experten eingebunden werden. Auch im Bestand ist vieles möglich, am besten dabei immer das Quartier mit im Blick habend. Kritisch sollte man zudem auf Materialien und deren Lieferketten schauen. Und natürlich sind der Gebäudebetrieb und vor allem auch die Pflege von biodiversitätsfördernden Elementen entscheidend, damit aus einem Konzept auch reale Vielfalt wird.

Beispiele für Komponenten in Biodiversitätskonzepten:

  • Erhalt von natürlichen Lebensräumen oder Lebensraumgestaltung: Die Wiederherstellung oder der Erhalt von lokal passenden Habitaten auf dem Gelände schützt die Biodiversität. Dies kann bereits während der Baufeld-Räumung und Baustelleneinrichtung mitgedacht werden.
  • Gründächer und Fassadenbegrünung: Entsprechend ausgebildete, integrierte Pflanzflächen können Lebensraum für Insekten, Vögel und andere Lebewesen bieten und dienen als ökologische Korridore. Wichtig ist dabei der Verbund mit Bäumen im Stadtraum.
  • Schaffung von Nistkästen und Brutmöglichkeiten: Sichere Orte für die Fortpflanzung von bestimmten Tierarten wie Vögeln und Fledermäusen; die Verfügbarkeit von Nahrungsangeboten ist mitzubedenken. Verwendung von einheimischen Pflanzen: Vermeidung von Neophyten und invasiven Arten, die die lokale Fauna und Flora verdrängen oder schädigen.
  • Regenwassermanagement: Die Gestaltung von Regenwasserbecken und Feuchtgebieten kann dazu beitragen, Lebensräume für wasserbezogene Arten zu schaffen.

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