
Kognitive Dissonanz in der institutionellen Immobilienwirtschaft
Autor
Dr. Heinz Schannath

Blogbeitrag
Kognitive Dissonanz in der institutionellen Immobilienwirtschaft
Die institutionelle Immobilienwirtschaft steht unter enormem Veränderungsdruck. ESG-Vorgaben, Dekarbonisierung, Digitalisierung und globale Unsicherheiten prägen die Agenda. In Studien und auf Podien herrscht Einigkeit: Wer langfristig Wertsteigerung erzielen will, muss nachhaltiger werden, digitale Prozesse etablieren und globaler denken. Ein Blick auf die Realität zeigt ein anderes Bild. Die viel beschworene Transformation findet in der Praxis nur sehr zögerlich statt. Fachkräfte werden zwar gesucht, aber Einstellungen erfolgen – wenn überhaupt – mit angezogener Handbremse. Zwischen strategischem Anspruch und tatsächlicher Umsetzung klafft eine Lücke – eine kognitive Dissonanz, die die Branche lähmt.
ESG und Dekarbonisierung
Dekarbonisierung gilt als größter Werttreiber der Zukunft. Energetische Sanierungen, CO₂-Reduktionsstrategien und ESGReporting sind keine Kür mehr, sondern regulatorisch erzwungene Pflicht. Eigentlich müssten Investoren massiv in Personal investieren. ESG Manager, Nachhaltigkeitscontroller und AssetManagementSpezialisten sind dringend nötig, um Bestände zukunftsfähig zu machen.
Die Realität sieht jedoch anders aus. Viele Marktteilnehmer bestätigen, dass Asset-Management-Projekte aufgeschoben oder nur halbherzig angegangen werden. Sanierungen werden verschoben, ESGBerichte minimalistisch umgesetzt. Fachkräfte werden zwar gesucht, aber die Einstellungen erfolgen zögerlich – und oft erst dann, wenn regulatorische Deadlines unmittelbaren Druck erzeugen.
Digitalisierung - Stillstand statt Durchbruch
Auch bei der Digitalisierung zeigt sich die Dissonanz. Auf Branchenevents wird viel über digitale Transformation gesprochen, von Smart Buildings über automatisierte Datenflüsse bis hin zu KIgestützten Bewertungsmodellen. Doch in den Unternehmen herrscht Stillstand.
Ursache ist die vielerorts nicht abgeschlossene Basisdigitalisierung. Prozesse laufen weiterhin in Excel, die Datenqualität ist unzureichend, Schnittstellen fehlen. Künstliche Intelligenz existiert, wenn überhaupt, nur als Insellösung – Pilotprojekte ohne Skalierung. Die großen Versprechen der Digitalisierung verhallen, weil die Grundlagen fehlen. Personal für ITTransformation, Data Science und PropTechIntegration wird grundsätzlich gesucht – doch nur selten tatsächlich eingestellt.
Rezession und Baisse am Immobilienmarkt
Warum klafft diese Lücke? Zwei Faktoren stechen heraus: Rezession und Baisse am Immobilienmarkt. Die schwache Konjunktur dämpft Konsum, Investitionsbereitschaft und Wachstumsaussichten. Unternehmen fokussieren sich auf Kostenkontrolle statt auf Expansion. Transaktionen sind eingebrochen, Preise stagnieren oder sinken, Bewertungen sind unsicher. Viele Investoren halten ihr Kapital zurück, in der Hoffnung auf klarere Marktsignale, oder allokieren ihr Kapital abseits der Immobilienmärkte. Die Folge ist, dass neue Projekte und Personaleinstellungen verschoben werden. Transformation bleibt Theorie.
Stagnation am Arbeitsmarkt Die kognitive Dissonanz zeigt sich insbesondere im Personalbereich. Absolventen mit Immobilienbezug finden aktuell schwerer eine Anstellung. Wenn Unternehmen überhaupt einstellen, dann suchen sie oft die „eierlegende Wollmilchsau“: Kandidaten, die ESG, Finanzierung, Digitalisierung und klassische Immobilienkompetenz und idealerweise 5 Jahre Berufserfahrungen in allen Bereichen zugleich mitbringen. Das Ergebnis sind langwierige Einstellungsprozesse, in denen Anforderungsprofile unrealistisch hochgesteckt werden. Neue Stellen werden kaum geschaffen, vorhandene offene Positionen bleiben unbesetzt. Es herrscht eine paradoxe Situation: Der Bedarf ist offensichtlich, doch die Nachfrage wird nicht in echte Einstellungen übersetzt.
Was die Branche jetzt braucht
Um diese Dissonanz zu überwinden, muss die Branche anerkennen, dass strategische Transformation ohne konsequente Umsetzung ins Leere läuft.
Notwendig ist
- Priorisierung von ESG und Dekarbonisierung: Investitionen in Nachhaltigkeit müssen als Wertsteigerung und nicht als Kostenblock verstanden werden
- Digitalisierung von Grund auf: Erst wenn Datenprozesse standardisiert und Schnittstellen geschaffen sind, können KILösungen Wirkung entfalten
- Realistische Personalstrategien: Statt nach Alleskönnern zu suchen, sollten Unternehmen gezielt Spezialisten einstellen und Teams komplementär aufbauen
- Mut zur Umsetzung trotz Rezession & Baisse: Warten ist kein Erfolgsmodell – wer jetzt handelt, verschafft sich Wettbewerbsvorteile.
Fazit
Die institutionelle Immobilienwirtschaft weiß, wohin sie will: nachhaltiger, digitaler, globaler. Doch sie tut zu wenig, um dieses Ziel zu erreichen. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit zeigt sich in aufgeschobenen Sanierungen, digitalem Stillstand, fehlender globaler Perspektive und einem Arbeitsmarkt, der jungen Talenten kaum Chancen bietet, die jedoch in wenigen Jahren dringend benötigt werden.
Diese kognitive Dissonanz gefährdet die Zukunftsfähigkeit der Branche. Wer den Mut findet, Personal einzustellen, Transformation aktiv zu gestalten und nicht länger auf bessere Zeiten zu warten, kann sich entscheidende Vorteile sichern.
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