Transparenz als Transformationstreiber

13.06.2025

Autor

Miriam Beul

Miriam Beul

Gründerin + Inhaberin

Netzwerkagentur für urbane Kommunikation

Blogbeitrag

Transparenz als Transformationstreiber

Im Supermarktregal ist sie längst selbst verständlich: die kleine Tabelle auf dem Joghurtbecher. Kalorien, Herkunft, Inhaltsstoffe – alles auf einen Blick. Und nicht nur bei Lebensmitteln. Auch bei Textilien ist gesetzlich geregelt, aus welchen Fasern ein T-Shirt besteht, wo es produziert wurde und wie es zu pflegen ist. Selbst bei Kosmetikprodukten, Waschmitteln und Spielzeugen ist die Kennzeichnungspflicht hoch und von den Verbraucher*innen gewollt. Doch wenn es um eine Immobilie geht, die Millionen kostet, sieht es ganz anders aus. Wer wissen will, welche Materialien verbaut wurden, welche CO₂-Bilanz das Gebäude aufweist oder wie hoch die graue Energie ist, trifft auf Schweigen – oder auf PDFs, die mehr verschleiern als offenlegen. 4 Und das Erstaunlichste daran: Diese Intransparenz wurde von der Branche kaum je in Frage gestellt – schlicht, weil sie so selbstverständlich war. Immobilien wurden und werden meist ausschließlich über kaufmännische Kennzahlen bewertet: Quadratmetermieten, Bodenrichtwerte, Cashflows, Liegenschaftszinssätze. Die verbauten Materialien? Spielten kaum eine Rolle – weder beim Kauf, noch bei der Bewertung, noch bei der strategischen Planung. Dabei ist genau das der blinde Fleck der Branche – und der Hebel für echte Transformation.

Stellen wir uns vor, jedes Gebäude hätte ein digitales Etikett – wie ein Product Passport. Darin enthalten wären verlässliche Informationen zu den verwendeten Materialien, zum CO₂-Fußabdruck, zur Energieeffizienz, zu Instandhaltungskosten und Rückbauoptionen. Alles digital, jederzeit abrufbar, aktualisierbar und langfristig dokumentiert. Der digitale Zwilling macht genau das möglich: ein lebendiges, dynamisches Abbild des Gebäudes, das über die gesamte Lebensdauer hinweg gepflegt und weiterentwickelt wird – vom ersten Entwurf über Bau, Betrieb und Umnutzung bis zum Rückbau. Gebäude würden damit vom schwer greifbaren Asset zur durchleuchtbaren Materialbank – nachvollziehbar, nachhaltig und vergleichbar.

Nicht alle in der Branche begrüßen diese Entwicklung. Denn Transparenz stört dort, wo Intransparenz bislang Geschäfts modell war. In einem Markt, in dem viele Informationen bewusst zurückgehalten wurden, um Margen, Provisionen oder Einfluss zu sichern, wirkt Digitalisierung wie ein Scheinwerfer. Sie deckt Schwächen auf, macht Vergleiche möglich, zwingt zur Qualität – und verändert die Machtverhältnisse.

Makler verlieren ihr Informationsmonopol, Property-, Asset- und Facility-Manager werden auf eine gemeinsame Datenbasis verpflichtet – was auch Verantwortlichkeiten neu verteilt. Investoren fordern zunehmend Nachweise statt Narrationen. Und nicht zuletzt regt sich auch Widerstand innerhalb der Baubranche selbst.

So kritisieren Architekt*innen und Planer*innen seit Jahren die mangelhafte Kennzeichnung von Baustoffen. Viel zu oft fehlen verlässliche Angaben zu Inhaltsstoffen, Emissionen oder gesundheitlichen Auswirkungen. Damit wird verhindert, dass wir gesündere, schadstoffärmere Gebäude errichten – mit erheblichen Folgen für Nutzer*innen, Umwelt und langfristige Nutzungsperspektiven.

Wenn wir anfangen, den Wert des verbauten Materials nicht mehr nur als Teil des Immobilienwerts zu sehen, sondern als eigenständige, vom Standort und Mietvertrag unabhängige Größe zu verstehen, verändert sich alles. Gebäude werden zu Materialbanken – und der Baustoff zur Wertkomponente mit eigenem Lebenszyklus. Damit rücken völlig neue Kompetenzfelder in den Fokus der Immobilienwirtschaft. Wer künftig erfolgreich sein will, braucht Know-how aus anderen Disziplinen: aus der Chemie, um Materialien und potenzielle Schadstoffe zu verstehen; aus der Biologie, um Lebenszyklusanalysen und Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt bewerten zu können; aus der Materialwissenschaft, um Wiederverwertbarkeit, Langlebigkeit oder biologische Abbaubarkeit beurteilen zu können; und aus dem Datenmanagement, um digitale Zwillinge verlässlich pflegen und auswerten zu können.

Ob Joghurt, T-Shirt oder Lippenbalsam – die Anforderungen an Information, Rückverfolgbarkeit und Nachhaltigkeit steigen in allen Konsumgütermärkten. In einer Welt, die auf Klimaziele, Kreislaufwirtschaft und ESG-Compliance setzt, ist es grotesk, dass ausgerechnet Gebäude noch immer Black Boxes sind. Die Lösung liegt in der Digitalisierung. Wir brauchen keine weitere Debatte, ob Transparenz gewollt ist – wir brauchen den regulatorischen Willen, sie zur Pflicht zu machen. Nur so können wir echte Marktmechanismen schaffen, die Qualität, Nachhaltigkeit und Werterhalt belohnen – und Green washing entlarven. Transparenz ist kein Risiko – sie ist unsere einzige Chance, den Gebäudesektor zukunftsfähig zu machen.

PS: Wenn selbst ein T-Shirt aus Polyester mehr über sich verrät als das Bürogebäude nebenan, dann ist es wirklich Zeit für ein Update.

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