Klimaschutzziele an den Nagel hängen

11/16/2021

Autor

Christopher Feliks

Christopher Feliks

Geschäftsführer

Westbridge Advisory GmbH

Blogbeitrag

Die Grundvoraussetzung für den Kampf gegen den Klimawandel ist ein vollständiger Datenpool. Nur durch diesen können erfolgreich Maßnahmen abgeleitet werden, um die Ziele in Schlagdistanz zu halten.

Nachhaltigkeit vergleichbar machen – das ist das Ziel der Taxonomie der Europäischen Union. Das im Frühjahr 2021 eingeführte Klassifizierungssystem soll Auskunft darüber geben, welches Finanzprodukt künftig als „grün“ bezeichnet werden darf – und welches nicht. Die EU-Taxonomie orientiert sich dabei an den Ergebnissen der EU Technical Expert Group on Sustainable Finance. Denn: Ökologische, soziale sowie Governance-Faktoren (ESG) sind mittlerweile oftmals fester Bestandteil langfristig ausgelegter Investitionsprozesse und stellen Investoren damit vor neue Herausforderungen.

Der Zweck, dem sich jegliche Maßnahmen, angestoßenen Prozesse und Verordnungen unterordnen, ist die Erreichung der EU-Klimaschutzziele 2050. Bis dahin soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent der Welt sein. Deutschland strebt die Klimaneutralität bereits fünf Jahre früher an. Ein damit verbundenes Bestreben ist bis 2050 den weltweiten Temperaturanstieg deutlich unter zwei Grad, wenn nicht gar unter 1,5 Grad zu verringern. Doch man hat bereits Etappenziele definiert, die bereits vorher umsetzt werden sollen. So plant man bis 2030 im Vergleich zu heute rund 65 Prozent der CO2-Emissionen einzusparen. Eine Herkulesaufgabe, schließlich ist der Klimaschutz auf Teamplay angewiesen – nicht nur in Europa.

Eine ausgeprägte Datengrundlage spielt dabei für den Klimaschutz eine sehr wichtige, wenn nicht gar eine übergeordnete Rolle. Um die bereits erwähnten Klimaschutzziele erreichen zu können, müssen zeitnah sowohl methodische als auch technische Hürden in der Datenbeschaffung überwunden werden – und zugleich ein flächendeckendes Kooperationsbewusstsein geschaffen werden. Entwickeln wir eine gemeinsame Strategie und folgen wir dieser eingeschlagenen Marschroute konsequent, ist eine nachhaltig ausgerichtete Welt kein Luftschloss mehr.

Immobilienwirtschaft: ein schlafender Riese

Betrachtet man in diesem Kontext die Rolle der Real-Estate-Branche, sticht diese durchaus negativ heraus: Knapp 40 % des CO2-Gesamtausstoßes in Deutschland stammen aus dem Gebäudebetrieb: Heizung, Klimatisierung, Lüftung, Beleuchtung. Allen voran sind es Bestands­immobilien, die hierbei die größten CO2-Einsparpotenziale aufweisen. Die vorhandenen Datenmengen sind heutzutage bei Bestandsgebäuden – Stand jetzt – in aller Regel jedoch mehr als überschaubar.

Kaum ein anderer Wirtschaftszweig hat einen ähnlich großen Hebel, um zu einer ökologisch nachhaltigeren Gesamtentwicklung beizutragen. Um sämtliche Verbesserungsmöglichkeiten für einen klimaneutralen Betrieb von Immobilien auszuschöpfen und damit die Wertigkeit der Assets langfristig sicherzustellen, sind der genaue Überblick und das konsequente Monitoring von Gebäudeperformancedaten essenzielle Faktoren. Immobilien binden riesige Vermögenswerte – eine in die Zukunft weitreichende Nutzung von Gebäuden und die richtige Ableitung erhobener Daten ist für den Klimaschutz unentbehrlich.

Herausforderung „E“: Datenbeschaffung und -erhaltung

Es braucht ein strukturiertes Datenfundament, um sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen für Immobilien identifizieren, bearbeiten und letztendlich anwenden zu können. Insbesondere die fundamentalen Verbrauchsdaten zu Strom, Erdgas, Wärme, Wasser, Kälte oder Abfall spielen eine zunehmend wichtigere Rolle.

Die Erhebung von (Gebäudeperformance-)Daten ist in Deutschland jedoch in aller Regel eine große Hürde. Wir sind nicht nur „datenfaul“, wir nutzen gleichzeitig auch jede Chance, um zu mauern und Daten zurückzuhalten. Ein gutes Beispiel stellt in diesem Fall der Mieterstrom dar: Während fast alle Gebäudedaten dem Eigentümer zu energetischen Analysezwecken zur Verfügung stehen, ist der Mieterstrom – eine der wichtigsten Variablen – hier nach wie vor eine große Unbekannte. In anderen Ländern wie den USA hat der Gebäudeeigentümer vollständigen Zugriff auf den Mieterstromverbrauch, was die Datengenerierung immens erleichtert. Ohne eine entsprechende Verankerung in ökologisch nachhaltigen Mietverträgen in Deutschland werden Bestandshalter in Zukunft ihren Aufgaben nach einem vollständigen Energie-Reporting nicht nachkommen können. Dabei würde ein vollständiges Datengerüst vertragliche Risiken identifizieren, den administrativen Aufwand sowie anfallende Kosten reduzieren und damit letztendlich zu mehr Transparenz führen. Auf Basis der generierten Ergebnisse könnte der ökologische Fußabdruck ermittelt werden sowie die Einbettung der Immobilien auf dem Dekarbonisierungspfad erfolgen. Technische Lösungen in der Datenerfassung oder die vereinfachte Ermittlung von Optimierungspotenzial durch „remote energy audits“ können dabei unterstützen, die Gebäudeperformance von Immobilien in Zukunft ohne Streuverluste zu verbessern.

Doch nicht allein die Datenbeschaffung, sondern auch das Datenmanagement ist eine große Herausforderung. Denn die Lagerung dieser Informationen erfolgt oftmals in Silos. Die Konsequenz: veraltete oder ungenaue Daten führen bei Erhebungen zu enormen Qualitätsverlusten und torpedieren damit angestrebte Analyseabsichten zur Erreichung der Klimaschutzziele. Der flächendeckende Anspruch sollte sein, diese Silos durch digitale Lösungen aufzubrechen und die Migration von Daten barrierefrei zu ermöglichen.

Das „S“ und „G“ nicht außer Acht lassen

Während das „E“ eine immer zentralere Bedeutung in unterschiedlichen Prozessen findet, werden die sozialen und die Governance-Faktoren häufig stiefmütterlich behandelt, wenn das Thema „ESG“ diskutiert wird. Das „S“ bedingen auf Asset- und Portfolioebene Aspekte wie Barrierefreiheit, Innenraumkomfort, die Qualität des Beschwerdemanagement, Nutzer­kommunikation oder auch das vor­herrschende Mobilitätsangebot. Zum „G“ gehören Punkte wie Grean leases, die Einhaltung von Betreiberpflichten, die Sicherstellung des Gebäudebetriebes sowie das Risikomanagement und der Werterhalt der Objekte.

Valide Kennzahlen sind es schließlich, die das Kernstück von ESG-Benchmarks, von Gebäudezertifizierungen und von CSR-Berichten ausmachen. Die Königsdisziplin ist und bleibt es, eine allumfassende und vollständige ESG-Datenbasis auf Portfolio- und Unternehmens­ebene zu etablieren und die Erfassung von Informationen zu vereinheitlichen. Klappt dies, bin ich für 2050 optimistisch gestimmt.

Dies ist ein Auszug aus unserer Publikation ESG Kompakt - Das Magazin für die institutionelle Immobilienwirtschaft zum Thema Nachhaltigkeit, ESG und Circular Real Estate.

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