Never let a good crisis go to waste
Autor
Jürgen Utz
Blogbeitrag
Never let a good crisis go to waste
Dies ist kein Fachbeitrag.
Dies ist kein Moralappell.
Dies ist ein Angebot, die Krise anders zu denken.
Man mag es fast nicht sagen, weil es zu abgedroschen klingt, aber die aktuellen Krisen bieten auch Chancen. Nicht für alle. Dafür müssten wir zurück in jene Strukturen, aus denen wir kamen: Null Zinsen, Nachhaltigkeit als Beiwerk, Energie zu niedrigen Preisen ohne CO2-Kosten, ein Immobilienmarkt mit unstillbarem Investitionsbedarf. Hat jemand ernsthaft geglaubt, dies geht immer so weiter?
Selbst wenn: Es wäre nicht gut gewesen.
Die Dynamik der Klimakrise der letzten Jahre, das Überschreiten von 6 der 9 planetaren Grenzen, ein existenzieller Biodiversitätsverlust und die Folgen für Menschen, Natur und Wirtschaft machen deutlich: Es geht nicht um einen Weg zurück. Es geht nicht darum eine Krise zu überstehen.
Es geht um Transformation!
Viele der zu lösenden Probleme sind seit Jahren bekannt. Nun gilt es die Hausaufgaben nachzuholen, für die wir in der konjunkturellen Hochphase die Mittel und Zeit gehabt hätten. Es ist also eher ein Nachsitzen, aber manchmal braucht es das für den Lernerfolg.
Was hilft nun? Der erste Schritt: Ein Hinterfragen des eigenen Problemverständnisses. Wir haben es meiner Meinung nach mit einem „wicked problem“ zu tun, gekennzeichnet unter anderem durch Vernetztheit, Eigendynamik und Intransparenz. Im Umgang damit lautet eine Regel, zwischen Sachlage und Bewertung klar zu trennen. Klingt einfach, ist aber schwer, weil eine - quasi automatisch erfolgende - emotionale Bewertung das Problem fixiert.
Ein Beispiel dazu: Das Problem „Die Studierenden haben keine Mensa“ beinhaltet als Lösung den Bau einer Mensa. Ändert man die Problemdefinition zu „Die Studierenden haben kein Angebot für günstige Verpflegung“, kommt man auf Kooperationen mit Gastronomie, Lieferdienste und viele weitere Lösungen. Wenn man akzeptiert, dass Problemdefinition und Lösung untrennbar verbunden sind, erhält man einen neuen Ansatzpunkt: Problemdefinition ändern. Anschließend kann man die diversen Ursachen identifizieren und dann kreativ neue Lösungen ableiten. Dazu gibt es erprobte Techniken, die unsere Branche nun für sich entdecken und auch nutzen sollte.
Kombiniert man dieses Vorgehen mit dem strategischen Ansatz, die Krise vom Ziel her zu denken, ergeben sich viele Möglichkeiten. Sinnvoll ist demnach nicht die Frage nach den aktuell zu erfüllenden Anforderungen. Denn diese sind nur ein Zwischenschritt. Es gilt, die notwendige Dynamik für die Zielerreichung zu antizipieren. Diese beschleunigt sich bei kurzfristig zu zaghaftem Handeln automatisch, sodass die Anforderungen schneller steigen – wir haben es beim CRREM-Update direkt erlebt. Bei langlebigen Investitionsgütern wie Immobilien ist ein „vom Ziel her denken“ also das Gebot der Wirtschaftlichkeit.
Ein ganz akutes Beispiel: Unser Ziel ist die Begrenzung der globalen Klimaerwärmung auf +1.5 Grad, also die Einhaltung eines CO2e-Restbudgets mit nachfolgender Null. Die Emissionen aller Gebäude müssen über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg auf das verbleibende Budget ausgerichtet sein. Das bedeutet: Für Betrieb, Sanierung und Neubau muss nach dem Verbrauch des Restbudgets die 0 stehen. Wir wissen inzwischen, dass ein Großteil der Emissionen aus den verbauten Materialien kommt. Also ist die 0 nur erreichbar, wenn zukünftig alle Materialien im Stoffkreislauf geführt werden. Je schneller dies für viele Materialien gelingt – insbesondere die mit hohen Emissionen – desto länger reicht unser Restbudget – wir können uns so Zeit für die Transformation der Branche sichern und Schäden vermeiden.
Zu Ende gedacht bedeutet dies: Eine Klimastrategie ohne Berücksichtigung von Embodied Carbon und Zirkularität führt zu einer Problemverschiebung – in Form von Kosten und Schäden – in die Zukunft. Ein Fokus nur auf den Betrieb führt so zur Fehlallokation von Mitteln. Offenbar ist die aktuelle Problemdefinition nicht funktional für die effiziente Zielerreichung.
Macht man sich an die Ursachensuche, landet man auch bei der Immobilienbewertung und der Frage: Wieso sind zirkuläre Gebäude nicht heute schon deutlich mehr wert? Obwohl die Klimafolgekosten und zukünftige CO2e-Kosten (ETS-II, CO2KostAufG, etc.) bekannt sind und die CSRD ebenfalls klare Ziele einfordert. Es führt also kein Weg daran vorbei.
Die SFDR und EU-Taxonomie, basierend auf dem Gebäuderessourcenpass, eröffnen hier viele Ansätze, wenn wir bereit, sind die Regeln der Wertschöpfungsketten neu zu denken: Was hat welchen Wert, über welchen Zeitraum wird dieser bemessen, was sollte dem „freien Markt“ überlassen werden und was explizit nicht? Die Modelle zu Cashflow, CapEx/OpEx-Planung und Buchwertermittlung müssen modifiziert werden – das ist die Aufgabe.
Das Verhalten in einer Krise und einer Transformation unterscheidet sich. Wer eine Krise meistern will, glaubt die Regeln im Kern zu kennen und versucht eine Variante des Ausgangszustands zu erreichen. Wer von einer Transformation ausgeht, der akzeptiert den offenen Ausgang, dass die Regeln sich ändern und damit das System.
Aktuell sieht es nach kognitiver Dissonanz aus: Man will die Anforderungen von Green Deal und Co. erfüllen, aber innerhalb des bekannten Systems. Da wir eine Transformation meistern müssen, wird dies nicht funktionieren – alle müssen sich bewegen.
Bildquelle Header: AdobeStock_626365716
Dies war ein Beitrag im ESG SPECIAL 2023.
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