Die Berücksichtigung von ESG-Kriterien bei der Bewertung von Gewerbeimmobilien

08.11.2023

Autor

Erik Schleicher

Erik Schleicher

Teamleiter

imtargis GmbH

Blogbeitrag

Die Berücksichtigung von ESG-Kriterien bei der Bewertung von Gewerbeimmobilien

Kaum ein Begriff prägt den aktuellen Diskurs in der Immobilienbranche so stark wie das Themenfeld ESG. Hierbei handelt es sich zunächst um einen Oberbegriff für eine Vielzahl an nachhaltigkeitsbezogenen Risiken und Merkmalen, die mit Investitionen (in den Gebäudesektor) verbunden sind. Innerhalb der Immobilienbranche konzentriert sich die Diskussion um ESG-Kriterien und Nachhaltigkeit aktuell schwerpunktmäßig vor allem auf das Wirkungsgefüge von Umweltrisiken („E“-Kriterien). Ursächlich hierfür ist vor allem die besonders hohe Bedeutung des Gebäudesektors für die Erreichung der Klimaziele sowie die entsprechende Fokussierung von Gesetzesinitiativen auf die Reduzierung von Treibhausgasemissionen. Gemäß aktuellem IPCC Zwischenbericht müssten die weltweiten Treibhausgasemissionen bereits bis 2030 um mehr als die Hälfte reduziert werden, damit das 1,5-Grad Ziel noch erreicht werden kann. In diesem Zusammenhang werden vor allem nachfragebedingte Einsparpotentiale hervorgehoben, die zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels einen entscheidenden Beitrag leisten können.

Branchengängige ESG-Berichte und Tools legen entsprechend einen besonderen Fokus auf Gebäudeemissionen bzw. auf mögliche Dekarbonisierungsstrategien für Bestandsimmobilien. Für Investoren stellt sich hierbei wiederum vielfach die Frage, inwiefern sich konkrete Dekarbonisierungsmaßnahmen auf die Wertentwicklung ihrer Immobilie auswirken und ob, bzw. zu welchem Grad hierüber Wertprognosen abgeleitet werden können.

Steigende Anforderungen an den Bewertungsprozess

Die gesetzlichen Verkehrswertdefinitionen des Baugesetzbuchs und des Pfandbriefgesetzes definieren den Marktwert im Wesentlichen als den erwartbaren Preis, der zwischen verkaufsbereiten Verkäufern und kaufbereiten Käufern im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielt werden kann. Allgemein betrachtet richtet sich der Marktwert einer Immobilie und eines mit ihr verbundenen „ESG Investments“ also stets nach dem entsprechenden Verhalten der Marktteilnehmer und setzt somit klare Belege im Marktverhalten voraus. Daraus ergibt sich die Aufgabe des Bewerters, vorhandene objektbezogene ESG-Kriterien im Gutachten im Kontext der Marktentwicklung zu analysieren und an entsprechender Stelle kritisch zu würdigen. Somit steigen die Anforderungen im Bewertungsprozess, beispielsweise bei der Objektbesichtigung oder bei der Auswertung verfügbarer Primär- und Sekundärdaten.

ESG-Merkmal ist nicht gleich ESG-Merkmal

Bei der Würdigung spielt die Verzahnung objektbezogener ESG-Merkmale mit den „klassischen“ Objektmerkmalen eine wichtige Rolle. Eine kritische Berücksichtigung kann folglich nicht außerhalb des Bewertungsverfahrens erfolgen. Vielmehr müssen entsprechende Kriterien in die Würdigung der klassischen verfahrensbedingten Parameter einbezogen werden. Hierzu zählen unter anderem der erzielbare Rohertrag, die Restnutzungsdauer oder beispielsweise der Liegenschaftszins.

Die Komplexität nimmt dabei mit dem Quantifizierungsgrad der ESG-Merkmale zu. Ein Beispiel für ein Merkmal mit hohem Quantifizierungsgrad ist die Verpachtung bzw. der Betrieb einer Photovoltaikanlage, welche sich im Regelfall mittels Cash-Flow Analyse mit klassischen betriebswirtschaftlichen Methoden bewerten lässt. Die Übergänge und der Grad an Quantifizierbarkeit von Nachhaltigkeitsmerkmalen ist hierbei jedoch fließend. Eine energetische Sanierung der Gebäudehülle wird beispielsweise in den meisten Fällen zu einer Reduzierung der Betriebskosten für den Wärmeverbrauch führen. Dies kann sich durch mieterseitig eingesparte Nebenkosten wiederum positiv auf die erzielbare Nettokaltmiete oder die nicht umlagefähigen Betriebskostenanteile auswirken. Sie kann auch zu einer ggf. abweichenden Einschätzung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer führen.

Marktevidenz ist entscheidend

Zunehmend komplexer verhält es sich mit vorwiegend qualitativen Nachhaltigkeitsmerkmalen einer Immobilie. Eine Cash-Flow-neutrale Photovoltaikanlage (z.B. durch unentgeltliche Duldung) kann sich zwar positiv auf ein objektbezogenes ESG-Rating auswirken, jedoch ist das Vorhandensein (oder Fehlen) solcher qualitativer ESG-Merkmale grundsätzlich im Kontext der aktuellen Marktphase zu hinterfragen. In diesen Bereich fallen aktuell auch ein Großteil der „S“ und „G“-Merkmale von Immobilien. Mögliche Abzüge von Investitionskosten, die im Rahmen einer ESG Due Diligence festgestellt werden, sind im Bewertungsprozess – ebenso wie mangel- und lebenszyklusbezogene Capex-Maßnahmen einer „klassischen“ TDD – im Hinblick auf Ihre Relevanz für die Kaufpreisbildung im jeweiligen Marktsegment kritisch zu hinterfragen.

Es bleibt zu beobachten, wie der Markt das Vorhandensein von objektbezogenen ESG-Merkmalen künftig weiterhin einpreist. Wahrscheinlich ist jedoch, dass der regulatorische Druck zur Schaffung weiterer Rahmenbedingungen für den Gebäudesektor künftig weiter ansteigen wird.

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