Keine Entscheidung am grünen Tisch

05.11.2021

Autor

Jan von Mallinckrodt

Jan von Mallinckrodt

Leiter der Segmententwicklung Immobilien

Union Investment

Blogbeitrag

Der Klimawandel schreitet voran und seine Auswirkungen werden deutlicher. Warum die Dekarbonisierung des Immobilienbestands so wichtig ist und wie sich Netto-Treibhausgas- Neutralität bis zum Jahr 2050 erreichen lässt.

Auch wenn die jüngste Flutkatastrophe in Deutschland nicht eindeutig auf den Klimawandel zurückzuführen ist: Die Wissenschaft kann klar belegen, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens solcher Ereignisse und deren Intensität durch den Klimawandel zunehmen. Auch die Politik hat das längst erkannt. Spätestens seit dem Pariser Klimaschutzabkommen und der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung im Jahr 2015 steht fest: Es ist keine Frage mehr ob, sondern nur noch wie Nachhaltigkeit beziehungsweise Klimaschutz in der Immobilienbranche umgesetzt wird. Es gibt keine Alternative zur Dekarbonisierung des Immobilienbestands.

Der Druck wird weiter steigen. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Auch bei der diesjährigen Wahl des deutschen Bundeskanzlers beziehungsweise der Bundeskanzlerin könnte das Thema Klimaschutz ausschlaggebend sein. Um die ambitionierten Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen, dürften in den kommenden Jahren lokale Gesetze, Verordnungen und Bauvorschriften der Mitgliedsstaaten immer weiter verschärft werden. Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das von Deutschland einen strengeren Klimaschutz einfordert, ist ein klares Zeichen in Richtung Nachhaltigkeit. Der Entwurf des neuen deutschen Bundes-Klimaschutzgesetzes sieht nun eine Senkung der Treibhausgasemissionen von mindestens 65 Prozent bis zum Jahr 2030 vor – gegenüber 1990. Das sind enorme zehn Prozentpunkte mehr als im aktuellen Gesetz festgeschrieben sind. Bis zum Jahr 2040 sollen mindestens 88 Prozent eingespart werden (18 Prozentpunkte mehr) und bis zum Jahr 2045, fünf Jahre früher als zuletzt vorgesehen, sind die Emissionen so weit zu mindern, dass Treibhausgas-Neutralität erreicht wird. Andere Länder und weitere Gesetze werden mit Sicherheit folgen. Außerdem könnten die Bestimmungen der jeweiligen Gesetze auch noch mit Sanktionen verbunden werden, wenn Bestandshalter ihr Portfolio nicht entlang des aufgezeigten Klimapfads weiterentwickeln. In einigen Ländern wurden bereits entsprechende Regulierungen verabschiedet.

Auch immer mehr große Unternehmen werden Druck auf die Immobilieneigentümer ausüben, um ihre Flächen nachhaltig zu gestalten – teilweise gezwungenermaßen: So hat das Bezirksgerichts von Den Haag beispielsweise den Ölkonzern Shell dazu verurteilt, den Ausstoß von Kohlendioxid bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zu 2019 zu senken.

Wann ein Fonds nachhaltig ist

Gleichzeitig werden auf Produkt­ebene ebenfalls die Regelungen verschärft. Der EU Action Plan on Sustainable Finance wird nach wie vor stringent umgesetzt. Seit März 2021 gilt die Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor. Demnach dürfen nur noch ganz bestimmte Produkte als nachhaltig vertrieben werden. Was genau als ökologisch nachhaltig gilt, regelt dabei die sogenannte EU-Taxonomie. Konkrete Quoten wurden allerdings nicht vorgegeben. Die lokalen Regulierungsbehörden, etwa die Bafin, werden voraussichtlich unter anderem noch festlegen, wie hoch der taxonomiekonforme Teil des Portfolios sein muss, damit ein Fonds in Deutschland als nachhaltiges Finanzprodukt angeboten werden kann.

Nicht ohne den Mieter

Grundsätzlich gilt: Ein nachhaltig ausgerichtetes Immobilienportfolio lässt sich nur mit einem langfristig orientierten Management und einer klar formulierten Strategie erreichen. Zudem sind Gebäude keine „Ware“ und können nur gemeinsam im fortlaufenden Dialog mit ihren Nutzern – den Mietern – betrachtet und weiterentwickelt werden. Die Nachhaltigkeitskriterien müssen objektindividuell umgesetzt werden, und führen zu völlig unterschiedlichen Kosten. Und nicht jedes Kriterium ist für jede Immobilie sinnvoll. Eine nachträgliche Integration von Grauwassernutzung beispielsweise ist für Büroimmobilien in aller Regel ökonomisch nicht sinnvoll. Geothermie ist auch nicht an jedem Standort machbar. Außerdem muss man zwischen Neubau und Bestandsobjekt unterscheiden: Beim Neubau etwa sind die Nachhaltigkeitskriterien nach aktuellem Stand nicht zwingend ein Kostentreiber. Sie müssen allerdings in der frühen Planung und Durchführung berücksichtigt werden. Denn werden beim Neubau bestimmte Taxonomie-Kriterien außer Acht gelassen, kann dies im Nachhinein nicht korrigiert und das Gebäude auch später nicht mehr als nachhaltig im Sinne der Taxonomie klassifiziert werden: Dazu zählen beispielsweise sogenannte „do no significant harm (DNSH)“-Kriterien wie die Recyclefähigkeit des Bau- und Abbruchmülls oder die Kreislaufwirtschaftsfähigkeit der eingesetzten Baumaterialien.

Eine Bestandsimmobilie nachhaltig auszugestalten, ist indes eine Herausforderung für sich. Wie können beispielsweise Immobilien, die den derzeitigen Anforderungen der EU- Taxonomie nicht entsprechen und etwa kein EPC-Rating von A vorweisen, transformiert und weiterentwickelt werden? Hier gilt es, einen umsetzbaren Business Case zu finden. Die Immobilienbranche sollte sich darum vor allem auf nachhaltige Revitalisierungen konzentrieren – nicht auf Neubauten und deren Kosten. Denn am nachhaltigsten ist immer noch das Gebäude, das nicht gebaut wurde.

Hürden minimieren

Aber auch die Politik ist gefordert, die nachhaltige Transformation nun wirklich zu ermöglichen. Hier gilt es, eine ausgewogene Lösung zu finden, die Kosten gerecht zu verteilen und Hürden, insbesondere auch im Aufsichts- und Steuerrecht zu minimieren. Verlangsamt wir die nachhaltige Transformation des Immobilienbestands beispielsweise durch das Investor-Nutzer-Dilemma: Der Investor zahlt die Kosten für die Dekarbonisierung der Immobilie, kann die Aufwendungen in der Regel aber nicht auf den Nutzer umlegen, der wiederum in Form von niedrigeren Nebenkosten profitiert. Oder das Anteilsschein-Dilemma: Die Investitionen werden aus dem Fondsvermögen bezahlt, der Verkehrswert der Immobilie steigt mit zunehmender Dekarbonisierung aber nicht automatisch. Gleichzeitig können die Investitionen in der Regel auch nicht aktiviert werden, was die Ausschüttungsfähigkeit des Fonds beeinträchtigen kann.

Die Manage-to-Green-Strategie

Union Investment hat frühzeitig den richtigen Weg eingeschlagen und sich bereits im Jahr 2018 mit der Manage-to-Green-Strategie das Ziel gesetzt, mit dem Immobilienportfolio bis 2050 klimaneutral zu sein. Wie das umgesetzt wird? Die Nachhaltigkeit einer Immobilie ist hochkomplex und muss viele Kriterien berücksichtigen. Um diese Komplexität messen und Fortschritte sehen zu können, hat Union Investment über die Jahre unterschiedliche Instrumente entwickelt. So werden beispielsweise bei jedem Ankaufsprozess die ESG- Kriterien des Objektes oder der Projektentwicklung – E steht dabei für Umwelt, S für Soziales und G für eine gute Unternehmensführung – mit Hilfe des hauseigenen „Sustainable Investment Checks“, kurz SI-Check, analysiert. Bei den Büro-, Einzelhandels-, Hotel- und Logistikimmobilien im Bestand wird die Prüfung jährlich wiederholt. Das Bewertungssystem wurde bereits im Jahr 2009 eingeführt und erst kürzlich um die Nutzungsart „Wohnen“ ergänzt, um auch dem stetig wachsenden Anteil an Wohnobjekten in den Portfolien gerecht zu werden.

Der Sustainable Investment Check

Der SI-Check erfasst insgesamt sieben Kategorien, darunter gebäude­struk­turrelevante Daten, Maßnahmen im Betrieb und den Nutzerkomfort.

Die Objekte können eine Bewertung zwischen 0 und 5 erzielen. So kann frühzeitig erkannt werden, welche Stärken und Schwächen das Gebäude hat und was kurz- oder mittelfristig getan werden muss, um sie in Richtung Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln. Werden beim Ankauf einer Immobilie die festgelegten Grenzwerte nicht erreicht, müssen die notwendigen Investitionen zur Erfüllung der Werte eingepreist und in der Investitionsplanung berücksichtigt werden. Die nachhaltige Weiterentwicklung der Immobilie wird so direkt zu Beginn des Investments festgeschrieben.

Oft kann schon mit einfachen Maßnahmen eine Verbesserung erzielt werden. Man muss nur das Problem erkennen. Doch genau das ist eben nicht so einfach. Zum Management der komplexen Daten nutzt Union Investment darum mit „ImmoSustain“ eine spezielle Software, die eigens für das Unternehmen weiterentwickelt und angepasst wurde. Die Ergebnisse und Potenziale des SI-Checks, aber auch aktuelle Energieverbrauchsdaten und CO 2 -Emissionen werden hier dokumentiert und gemanagt. Das Problem der mangelnden Datenverfügbarkeit, insbesondere der Mieterdaten, wurde dabei durch das automatisierte Auslesen der Versorgerrechnungen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz deutlich optimiert.

Alle relevanten Nachhaltigkeitsdaten sind so auf Objekt- und Fonds­ebene für Asset- und Fondsmanager einsehbar und bilden eine wichtige Diskussionsgrundlage für Verbesserungen. Ein konkretes Beispiel: Die Energieverbräuche und Emissionen der Gebäude werden laufend überprüft und miteinander verglichen. Hat ein Gebäude überdurchschnittliche hohe Verbräuche, wird dem mit Hilfe der Property Manager auf den Grund gegangen. In einigen Gebäuden wurden zudem bereits Energiemonitoringsysteme installiert. Damit können die komplexen technischen Anlagen so präzise gesteuert werden, dass erhebliche Einsparungen im Energieverbrauch erzielt werden. Außerdem hat Union Investment frühzeitig alle Allgemeinflächen ihrer Immobilien in Deutschland und Österreich auf Ökostrom umgestellt und dies mittlerweile auch auf einige europäische Länder ausgeweitet. Wann immer es sinnvoll ist, wird die herkömmliche Beleuchtung zudem durch LEDs ausgetauscht.

Das atmosphere-Label

Die unterschiedlichen Instrumente mündeten im Jahr 2019 in das Nachhaltigkeitslabel „atmosphere“. Diese Kennzahl zeigt an, zu wieviel Prozent eine Gewerbeimmobilie oder ein Teilportfolio die Klimaschutzziele – vorerst bis zum Jahr 2030 erfüllt – und was noch zu tun ist. So können Mieter, Anleger und Marktbegleiter auf einen Blick die Nachhaltigkeitsperformance einer Immobilie oder des jeweiligen Fonds erkennen.
Die Kriterien im Detail: Zu 40% fließen die Ergebnisse des SI-Checks ein. Zu weiteren 40% fließen Energie- und Wasserverbräuche sowie Abfall und CO 2 -Emissionen in den Zielerreichungsgrad ein. Es kann also konkret abgelesen werden, an welchem Punkt des Klimapfads sich das Gebäude befindet. Hinzu kommen 20% Governance-Themen auf Unternehmens- und Portfolioebene. Hierzu zählen beispielsweise Themen wie Unternehmenswerte oder Steuerungs- und Kontrollprozesse. Pandemiebedingt hat sich der Rollout des Labels zwar etwas nach hinten geschoben, aktuell wird aber mit Hochdruck an der technischen Umsetzung gearbeitet. Schließlich ist das Energieeinspar- und Klimaschutzpotenzial im Gebäudebestand groß und sollte auch genutzt werden.

Dies ist ein Auszug aus unserer Publikation ESG Kompakt - Das Magazin für die institutionelle Immobilienwirtschaft zum Thema Nachhaltigkeit, ESG und Circular Real Estate.

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