Gängige ESG-Strategien vernachlässigen oft die soziale Komponente

08.11.2023

Autor

Tobias Kassner

Tobias Kassner

Head of Research
Member of the Executive Board

Garbe Industrial Real Estate GmbH

Blogbeitrag

Gängige ESG-Strategien vernachlässigen oft die soziale Komponente

EU-Taxonomie und die Offenlegungsverordnung sind nur einige der Regelwerke, die eingeführt wurden, um die Nachhaltigkeitsprinzipien der Vereinten Nationen (UN SDGs) und die Maßgaben des Klimaabkommens auch im Bereich der Immobilienwirtschaft umzusetzen.

Eine ESG-Strategie ist daher Kernbestandteil in den Strategiepapieren der Marktakteure. Zudem pochen auch Investoren zunehmend auf die Einhaltung von ESG-Kriterien.

Eine ganze Reihe an Bewertungsschemata, Zertifikaten und Herangehensweisen wurden entwickelt, um die Ziele messbar zu machen und konsequenter verfolgen zu können. Einen guten Überblick bietet die jüngst erschienene Übersicht des INREV-Verbands, der die weltweit gängigen Systeme gescreent und gegenübergestellt hat. Bemerkenswert ist dabei, dass ein Großteil der Systeme auf die „E-Komponente“ fokussiert ist und damit den Schwerpunkt auf die ökologische Nachhaltigkeit setzt. Etwas seltener vertreten sind Bewertungsmechanismen für die „G-Komponente“, die Unternehmensführung. Aber auch hier gibt es etablierte Ansätze.

Die Sozialkomponente („S“) führt laut INREV allerdings ein Nischendasein. Dabei ist das Wohlbefinden von Mitarbeitern, die in den Immobilien arbeiten, ebenfalls ein Kernelement dieser ESG-Prinzipien. In einigen Assetklassen, z. B. Büro und Wohnen, finden durchaus einige Standards und Maßnahmen verstärkt Beachtung, bei Logistikimmobilien werden diese allerdings bisher noch selten umgesetzt. Dabei ist der Mitarbeiterschutz vor allem hier relevant, da die Arbeit in der Logistik und Industrie deutlich belastender für den Körper ist und die Mitarbeiter durch die peripheren Lagen der Immobilien von vornherein gegenüber den Büromitarbeitern in der Stadt benachteiligt sind.

Da die Logistikimmobilien als Immobilienassetklasse sehr starkes Investoreninteresse auf sich gezogen hat und mittlerweile rund 20 % bis 25 % des Investmentvolumens auf sich vereint, müssen hier ebenfalls Standards etabliert werden, damit den Investoren auch bei der Sozialkomponente für Logistikimmobilien eine Nachhaltigkeit gewährleistet werden kann. Die Qualität des Arbeitsplatzes bemisst sich neben Maßnahmen zur Sozialverträglichkeit in und um das Gebäude hier schwerpunktmäßig an den umgebenden Faktoren des Standortes. Denn durch die periphere Lage ist der Arbeitsweg meist weiter als für andere Werktätige. Zudem arbeiten Logistikmitarbeiter häufig in Schichtsystemen und haben dadurch Nachteile in Kauf zu nehmen. Um ein langfristig nachhaltiges Investment zu gewährleisten, ist es daher notwendig, solche Faktoren zu messen, die langfristig (nahezu) unveränderbar sind. Hierzu gehören die Anbindung an den ÖPNV, die tägliche Nahversorgung – z. B. mit Mittagstischen, Imbiss, Restaurants und ähnlichem. Einkaufmöglichkeiten für Lebensmittel und Drogerieartikel, bedingt auch ärztliche Versorgung und gar Kinderbetreuung sind wichtig, um Logistikmitarbeitern auch vor diesem Hintergrund ein sozial ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeitsstelle und Lebensqualität zu ermöglichen. Um diese Aspekte zu quantifizieren, werden zumeist die fußläufige Distanz, Quantität und Qualität der Angebote ermittelt.

Die genannten Aspekte stehen nur für einige der Komponenten, um die soziale Standortqualität zu bemessen. Wichtig ist, diese nachvollziehbar zu quantifizieren und keine subjektiven Einschätzungen zu verwenden. Dies wird insbesondere dann wichtig, wenn die Prüfung regelmäßig durchgeführt werden soll. Zwar unterliegen diese Faktoren keinen regelmäßigen, starken Veränderungen. Im Zuge eines typischen Investmentzyklus kann jedoch neue Infrastruktur entstehen. Auch Versorgungsmöglichkeiten kommen hinzu oder verschwinden. Immobilienstandorte, die beim Ankauf über eine hohe soziale Standortqualität verfügten, können im Zeitverlauf von beispielsweise zehn Jahren schleichend und graduell an Qualität verlieren. Hier müssen rechtzeitig Strategien entwickelt werden. Um frühzeitig agieren zu können, ist ein entsprechend ausgelegtes Quantifizierungssystem notwendig. Mit passenden Geodaten und Auswertungssystemen ist dies heutzutage einfach und schnell umsetzbar – entsprechendes Know-How vorausgesetzt.

Die soziale Standortkomponente steht bei vielen Investoren bislang nicht ganz oben auf der Agenda, vielleicht auch, weil hier kaum Bewertungsansätze vorhanden sind. Ein Ausblenden dieses Faktors kann sich jedoch als nachteilig herausstellen, denn eine vollständige ESG-Strategie schließt auch die Sozialkomponente mit ein. Bei Logistikimmobilien bedeutet dies auch zwingend die Messung der Standortqualität für die Mitarbeiter – gerade vor dem Hintergrund des stetig an Bedeutung gewinnenden Fachkräftemangels auch ein wichtiger Vorteil in der Vermietung.

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