ESG Kompakt: Interview
Interviewpartner
Barbara Possinke
Interview
ESG Kompakt Interview: Heute mit Barbara Possinke, Geschäftsführende Gesellschafterin von RKW Architektur +
Wie würden Sie RKW beschreiben?
Für mich ist RKW: Know-How kombiniert mit Kreativität und Leidenschaft. Mit einem Fundament aus Erfahrungen und gelebten Werten, die seit unserer Bürogründung im Jahr 1950 stetig gewachsen sind. Mittlerweile arbeiten über 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in aktuell rund 250 Immobilienprojekten. Neben unserem Hauptsitz in Düsseldorf sind wir mit regionalen Niederlassungen in Berlin, Leipzig, München und Münster vertreten. Dabei decken wir alle üblichen Immobiliennutzungsarten ab, das heißt: Büro, Einzelhandel, Wohnen oder öffentliche Gebäude.
Wie ist RKW beim Thema ESG und Nachhaltigkeit aufgestellt?
Seit vielen Jahren widmen wir uns dem Thema nachhaltiger Architektur bzw. den Faktoren für eine hohe Nachhaltigkeit im gesamten Lebenszyklus von Immobilien. Unsere Anstrengungen haben wir seit einiger Zeit nochmals intensiviert. So gibt es bei uns ein Nachhaltigkeitslabor – unser sustainability.lab – das mit spezialisierten Teams eine Vordenkerrolle bei uns übernimmt. Hinzu kommt eine bereits umfangreich genutzte Materialdatenbank. Sie liefert als wichtiges Planungsinstrument detaillierte Informationen über nachhaltige Materialien mit entsprechenden Zertifizierungen.
Sind Sie auch öffentlich für ESG aktiv?
Ja, neben zahlreichen Vorträgen sind wir eines der ersten Mitglieder der „Phase Nachhaltigkeit“ von der DGNB, welche einen der wahrscheinlich weltweit strengsten Anforderungskataloge für die Nachhaltigkeits-Zertifizierung von Immobilien einsetzt. Hier arbeiten wir ganz konkret und fortlaufend an Aktualisierungen mit.
Wie wichtig ist das Thema ESG für Architekten?
Das Thema ist sehr wichtig, schließlich stehen wir am Beginn der Immobilienentstehung. Bereits wenn Projektentwickler, Investoren oder Bestandshalter auf uns zukommen, dann ist es inzwischen eine wichtige Anforderung geworden, dass die Immobilie einen hohen ESG- Standard erfüllt. Dieser Wunsch ist gerade für die Endinvestoren zentral. Die große Frage ist dann allerdings: Was ist ein hoher ESG-Standard, was bedeutet überhaupt ESG-konform?
Was ist das Problem mit ESG-Standards?
Ganz einfach – es gibt keine ESG-Standards, zumindest noch nicht. Beim Umweltgedanken, also dem „E“ in ESG existieren zumindest Orientierungen bei den Zertifizierungen nach DGNB oder GRESB. Doch schon beim Punkt Soziales oder Unternehmenskultur wird man kaum noch fündig. Besonders schwammig ist es beim „G“ wie Government. Natürlich gibt es ganz große Rahmendefinitionen wie die UN-Menschen- und Arbeitsrechte. Doch es fehlt derzeit noch eine konkrete Übersetzung für die Immobilienbranche. Insgesamt bin ich aber zuversichtlich. Denn jede große gesellschaftliche Veränderung fängt mit einer Vision an und die konkretisiert sich im Laufe der Zeit mit der Erwartung an eine bessere Zukunft.
Sie sprechen oft von einer „grünen Baugenehmigung“. Was ist darunter zu verstehen?
Aktuell haben wir ESG-Elemente, insbesondere beim Umweltgedanken, in vielen Rahmenregelungen, wie den DIN-Normen, den Bauordnungen oder der ENEV. Leider fehlt dort noch die Gesamtheit der Anforderungen. Hinzu kommt, dass alle diese Regelungen nicht zwingend erfüllt werden müssen. ESG bleibt damit eine zu guten Teilen unverbindliche Wahlmöglichkeit. Deshalb treten wir als RKW für eine grüne Baugenehmigung ein, bei denen ein Mindestmaß an ESG-Faktoren erfüllt werden sollten, beispielsweise beim Umweltelement das Vorlegen einer Öko-Bilanz für den ganzen Lebenszyklus der Immobilie. Dabei wäre ein Augenmerk auf die Baustoffe und die Energiebilanz zu legen.
Das klingt nach sehr starker gesetzlicher und staatlicher Regulierung?
Ja, allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass es bei ESG um unsere Zukunft geht und die Wirtschaftlichkeit nicht alle Aspekte übertrumpfen sollte. Sehr oft versuchen wir, unseren Kunden den ESG-Gedanken näher zu bringen, letztlich scheitert es allerdings an den Kosten. Und uns fehlt das Instrumentarium, zumindest grundlegende Elemente zu verwirklichen.
?Ist grünes Bauen zwangsläufig immer mit höheren Kosten verbunden?
Hier müssen wir ehrlich sein, es gibt einige Maßnahmen, die können kostenneutral umgesetzt werden, doch die meisten ESG-Elemente erfordern höhere Investitionen. Das fängt schon bei der Benutzung regionaler, umweltverträglicher Baustoffe an, geht über die Grundstücksgrößen mit entsprechender Aufenthaltsqualität bis hin zur Haustechnik.
Welche Chancen haben grüne Mietverträge?
Bei vielen Nutzern stößt der oft gerne öffentlich propagierte Nachhaltigkeitsgedanke schnell an Grenzen, wenn er mit höheren Kosten verbunden ist. Dann werden doch wieder Kunststoffböden gewählt oder günstige, selten umweltverträgliche Fassadendämmungen gefordert. Wir als Architekten müssen dann leider viel zu oft diesen Anforderungen folgen, schließlich kommen sie von unseren Kunden, die wiederum die Nutzer im Auge haben. Dennoch geben wir nicht auf und versuchen stetig, so viel wie möglich an grünen Elementen einzubringen; auch, wenn die Kostensensibilität oft die Oberhand behält.
Wie kann ESG-konformes Bauen konkret aussehen?
Die Bundesstiftung Baukultur setzt sich aus meiner Sicht völlig zu Recht stark für regionale Bautechniken und Handwerkstraditionen ein. Gerade die Regionalität ist ein wichtiger Schlüssel. Aus gutem Grund haben Generationen vor uns regionale Baustoffe verwendet. Unter dem ESG-Gesichtspunkt ist das aus vielen Gründen vorteilhaft. Leider steht diese Forderung im Gegensatz zu den meist völlig undifferenzierten, wenig ESG orientierten bundeseinheitlichen Forderungen von beispielsweise der ENEV.
Wie kann die Architektur helfen ESG zu mehr Akzeptanz zu verhelfen?
Am Anfang steht immer die Idee, die Vision einer neuen Immobilie; und nun verbinden wir diese mit den ESG-Gedanken. Ganz konkret schlagen wir auch Holz-Hybrid-Häuser vor – hier haben wir bereits einzelne Investoren. Holz ist dabei ein nachwachsender Rohstoff, der auch noch positiv auf die CO2-Bilanz einwirkt. Zudem ist er baukulturell betrachtet regional sogar einer der Hauptbaustoffe und schafft ein Raumklima, das sie mit Beton und Kunststoff nie erzielen werden.
Wie sieht die ESG-Immobilie der Zukunft aus?
Künstliche Intelligenz und die Nutzung von eigenständigen Entwurfsprogrammen werden eine enorme Rolle spielen. Lösungen werden zukünftig viel stärker von der IT angeboten. Das ermöglicht uns auch die variable Prüfung unterschiedlichster Baumaterialien, Grundrisse und Raumprogramme auf Basis der ESG-Anforderungen in kürzester Zeit. Die Vorfertigung von ganzen Bauelementen wird noch viel stärker erfolgen, das kann dann auch entscheidend helfen, den Abfall auf Baustellen nahe Null zu führen und regionale Elemente viel stärker zur Schonung der Umwelt, beispielsweise beim Transport, einzusetzen. Der Vorfertigungsgrad gilt dann auch für die Statik, die TGA und die Installationen, die wie in einem Stecksystem auf der Baustelle angeschlossen werden.
Welche Unterstützung wünschen Sie sich noch von der Politik?
Ich wünsche mir, dass wir stärker in eine Umsetzungsphase kommen. Denn sowohl gesellschaftlich wie politisch sind wir noch viel zu oft im Bereich des Green-Washings unterwegs. Alle finden ESG gut und wollen auch die bessere Zukunft.
Wer will das schließlich nicht?
Die entscheidende Frage ist: Was sind wir bereit zu tun, um wirklich effektive ESG- Elemente mit klaren Vorgaben konkret umzusetzen?
Barbara Possinke ist geschäftsführende Gesellschafterin bei RKW Architektur +. Ihre Schwerpunkte sind die Revitalisierung sowie der Neubau von Büro- und Handels- immobilien, Warenhäusern, Einkaufs- und Unterhaltungszentren sowie bezahlbarer Wohnungsbau. Insbesondere der städte- bauliche Kontext, die Entwicklung von Innenstädten mit und durch Handelsimmo- bilien und der dafür notwendige Dialog mit allen Planungsbeteiligten liegen ihr sehr am Herzen. Die visionäre Architektin ist eine ge- fragte Expertin zu den Themen der Nachhal- tigkeit von Gebäuden, neuen Konzepten für die Entwicklung von Leerstandsimmobilien und innovativen Handelswelten. Seit 2000 doziert Barbara Possinke zudem an der International Real Estate Business School.