Mit dem Bestand, nicht gegen den Bestand arbeiten

28.06.2024

Autor

Britta Slater

Blogbeitrag

Mit dem Bestand, nicht gegen den Bestand arbeiten

Die Immobilienwirtschaft steht in der Verantwortung: 30 bis 40 Prozent der CO2 -Emissionen stammen aus dem Gebäudesektor. Mehr als die Hälfte des Abfallvolumens in Deutschland besteht aus Bauschutt, während die Baustoffindustrie zu den größten CO2 -Emittenten überhaupt gehört. Höchstmögliche Energieeffizienz und Sparsamkeit im Umgang mit Ressourcen sind daher das Gebot der Stunde.

Es gibt zahlreiche Leuchtturmprojekte für innovative Baukonzepte, die vom Materialeinsatz bis zum Betrieb sehr kleine CO2 -Fußabdrücke hinterlassen, von Holzhybrid-Bauweisen bis zu Null-Emissions-Häusern. Eines haben die meisten dieser Leuchttürme gemeinsam: Sie sind gegenüber konventioneller Bauweise noch relativ teuer in der Erstellung. Auch handelt es sich in der Regel um Prestige-Projekte, die sich erstmal rechnen müssen und sich auch nicht endlos repetieren lassen. Kurzum: Für eine Transformation des Immobilienbestands sind dies interessante und wichtige Vorreitermodelle, aber keine Blaupause für eine massenhafte Umsetzung.

Die genannten Leuchtturmprojekte fokussieren sich häufig vor allem auf Energieeffizienz und CO2 -Reduktion. Jedoch besteht das Buchstabentrio „ESG“ nicht nur aus dem „E“ für „Environmental“. Genauso wichtig ist das „S“ für „Social“, und das hat gerade im Wohnsegment einen erheblichen Impact: Zunächst muss Wohnen auch für Normalverdiener bezahlbar sein. Hinzukommen aber auch Attribute, die den sozialen Zusammenhalt stärken, wie Inklusion, Barrierefreiheit, generationsübergreifende Angebote oder die Verfügbarkeit von sozialer Infrastruktur wie Kitas, Schulen oder Gesundheitsversorgung.

Dies alles mit der Bezahlbarkeit von Wohnraum zu vereinbaren, klingt zunächst nach der Quadratur des Kreises. Schließlich müssen sich Investments in Wohnobjekte und soziale Infrastruktur am Ende auch für institutionelle Investoren rechnen, denn auch wirtschaftlich soll und muss eine Immobilie nachhaltig sein.

Vor diesem Dilemma zu kapitulieren, ist jedoch die falsche Reaktion. Derzeit scheint es, als sei bei dem einen oder anderen Marktteilnehmer das Thema ESG angesichts wirtschaftlicher Herausforderungen nach der Zinswende etwas in den Hintergrund getreten. Jeder sollte aber bedenken: Es geht nicht um verzichtbaren Luxus, sondern um die Grundlagen zukünftiger Wertschöpfung. Mit Offenheit für unkonventionelle Ansätze und dem Mut, Innovationen auch mal auszuprobieren, lassen sich durchaus gangbare Wege finden.

Ein Beispiel hierfür ist serielles Bauen: So lässt sich relativ schnell und um bis zu zehn Prozent günstigerer Wohnraum schaffen, bei entsprechendem Materialeinsatz und hoher Energieeffizienz ist dies auch unter ökologischen Gesichtspunkten nachhaltig. Um den ökologischen Fußabdruck des Materialverbrauchs zu optimieren, sollten Elemente der Kreislaufwirtschaft berücksichtigt werden. In der Immobilienbranche gibt es dazu bereits zahlreiche spannende Ansätze. Am bekanntesten ist vielleicht ein Register für verwendete Materialien und Bauteile, die eine spätere Wiederverwendung vereinfachen.

Wer dieses Konzept konsequent weiterdenkt, landet irgendwann beim seriellen Sanieren. Ein Gebäude, das nicht abgerissen und neu errichtet werden muss, sondern nach Sanierung oder Umnutzung weiter genutzt werden kann, spart automatisch „graue Emissionen“ ein. Hinzu kommt: Ein Bestandsgebäude fügt sich in der Regel in gewachsene urbane Strukturen ein. Ein Neubau hingegen muss dort erst „hereinwachsen“. Vereinzelt funktioniert das in der Regel mit der Zeit – aber nicht ganze Straßenzüge gleichzeitig.

In der Praxis bedeutet serielles Sanieren, dass ähnliche Gebäude nach ähnlichen Konzepten saniert oder neu positioniert werden, wobei weitgehend standardisierte Bauteile zum Einsatz kommen. So können zum Beispiel aus früheren, nicht mehr benötigten Bürogebäuden kostengünstig Wohngebäude entstehen, die in gemischt genutzten Erdgeschossen beispielsweise Nahversorger oder Kitas beheimaten.

Das Ziel müssen Städte sein, die nicht nur nachhaltig, sondern auch lebenswert, sozial inklusiv und bezahlbar sind – ohne bestehende Stadtstrukturen unnötig zu zerstören. Das funktioniert nicht gegen, sondern nur mit dem Bestand.

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