Neuer Suburbanisierungstrend in Deutschland
Autor
Dr. Marcel Alexander Gärtner
Blogbeitrag
Zwischen hybridem Arbeiten, überhitzten städtischen Wohnungsmärkten, Pandemie und ESG Neuer: Suburbanisierungstrend in Deutschland
Neue Wohnsuburbanisierung
In jüngster Vergangenheit ist auf den Wohnimmobilienmärkten in Deutschland eine zunehmende Attraktivität der suburbanen Räume zu verzeichnen. Insbesondere gewinnen in vielen Städten Stadt-Umland-Wanderungen von jungen Familien seit einigen Jahren an Dynamik.1 Dieser Bedeutungsgewinn der suburbanen Räume ist insbesondere auf die überhitzten großstädtischen Wohnungsmärkte mit stark gestiegenen Wohnkosten und unzureichender Bautätigkeit im bezahlbaren Wohnraumsektor zurückzuführen. Die Zunahme der Telearbeit im Zuge der Digitalisierung, die eine räumliche Nähe zwischen Wohn- und Arbeitsort zunehmend obsolet werden lässt, bildet einen wichtigen Faktor für die wachsende Bedeutung des städtischen Umlandes.
Dabei zeigen sich in der Reichweite der Wachstumseffekte im städtischen Umland Unterschiede. Demnach zeichnet sich um prosperierende Großstädte und Stadtregionen herum ein räumlich weitreichendes Bevölkerungswachstum ab, wie bespielweise in den Stadtregionen München, Stuttgart, Rhein-Main, Berlin und Hamburg zu sehen, während Städte wie Bremen und die nordrhein-westfälischen Großstädte entlang der Rheinschiene sowie die ostdeutschen Städte Leipzig und Rostock ein engeres boomendes Umland aufweisen.2
Neue Wohnpräferenzen und stadtregionale Preisgefälle
Die derzeit stattfindenden Stadt-Umland-Wanderungen werden primär von jungen Familien getragen. Diese Entwicklung ist u. a. auf die wachsenden Flächenansprüche und die Priorisierung eines durchgrünten Wohnumfeldes dieser Mehrpersonenhaushalte zurückzuführen, also Wohnpräferenzen, die in den Innenstädten nur schwer umsetzbar sind.
Neben weiteren, die Wohnungsnachfrage beeinflussenden Faktoren, wie die zunehmende Veränderung des Einkaufsverhaltens in Richtung Online-Shopping, hält das Arbeitsmodell des Home-Office immer stärker Einzug in den Arbeitsmarkt. Wie über längere Zeit erprobt, wird das hybride Arbeiten zu einer räumlichen Neuordnung der Arbeit mit weitrechenden Effekten für den Wohnimmobilienmarkt führen. Da die Entfernung zwischen Arbeitsort und Wohnort womöglich nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, da die Strecke zum Büro seltener zurückgelegt werden muss, könnten suburbane Wohngebiete weiter an Attraktivität gewinnen.3
Der wohnungsmarktbezogene Bedeutungsgewinn des Umlandes gegenüber den Städten ist auch anhand der Wohnmietpreise erkennbar. Die Steigerungsraten bei Wiedervermietungen verringerten sich demnach am stärksten in den Metropolen, wobei die bundesweit höchsten Steigerungen der Wiedervermietungsmieten in den Umlandkreisen prosperierender Städte zu verzeichnen sind.4 Auch wenn der suburbane Raum an Attraktivität gewonnen hat, so ist der Trend der Urbanisierung allerdings nicht unterbrochen und findet parallel zur Suburbanisierung weiter statt.
Ausblick
Wie jeder Raumentwicklungsprozess, birgt auch die Suburbanisierung weitreichende wohnungs- und stadt entwicklungsspezifische Folgen. Am offensichtlichsten ist wohl, dass durch den Wegzug der Bevölkerung aus der Kernstadt zusätzliche Siedlungsfläche im Umland benötigt wird. Aus der Erschließung von neuem Bauland wiederum resultiert ein höherer Flächenverbrauch und es kommt zur Zersiedlung der Landschaft. Um die Entlastung der Städte durch Wohnungsbau im Umland nachhaltig zu gestalten ist eine Wohnungsmarkt- bzw. Stadtentwicklungspolitik nach dem Leitbild einer dezentralen Konzentration von Nöten.
Da die Attraktivität einer Umlandregion auch davon bestimmt wird, wie gut sie infrastrukturell (Kitas, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten etc.) angebunden ist, könnte demnach eine konzentrierte Siedlungsentwicklung in Umlandzentren zu einer umweltverträglicheren und nachhaltigen Entlastung der Großstädte führen. Der Ausbau des Wohnungsbestandes bzw. Neubau in den suburbanen Siedlungsgebieten sollte nicht wie in der Vergangenheit ausschließlich von der Errichtung monofunktionaler Ein- und Zweifamilienhausgebieten getragen werden, vielmehr sollte auch der Wohnungsneubau von Mehrfamilienhäusern mit großzügigen Wohnflächen und Gärten sowie bezahlbarem Wohnraum in lebendige Quartiere mit Nutzungsvielfalt integriert werden.
Zuletzt stellt sich die Frage, wie die zukünftigen Entwicklungen im stadtregionalen Kontext aussehen. In der ersten Suburbanisierungswelle während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts folgte der Wanderung der Bevölkerung in suburbane Gebiete zeitlich versetzt eine Stadt-Umland-Verlagerungen von Industrie, Handel, Dienstleistungen sowie Freizeit- und Kultureinrichtungen. Es stellt sich somit die Frage, ob es sich bei dieser neuen Attraktivität der suburbanen Räume lediglich um ein, primär den Wohnungsmarkt betreffendes, temporäres Ereignis handelt oder sich dieser aktuelle Trend auch auf weitere Nutzungsarten des Immobilienmarktes ausweitet.
1 Deutsches Institut für Urbanistik (2020): Das Umland der Städte. Chancen zur Entlastung überforderter Wohnungsmärkte. Berlin, S. 6.
2 Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (2020): Wohnungs- und Immobilienmärkte in Deutschland 2020. Bonn, S. 26.
3 Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) (2020): IW-Kurzbericht 120/2020. Höhere Immobilienrenditen im Umland. Köln, S. 2.
4 Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (2021): Wohnungsmieten. Fachbeitrag vom 12.05.2021. Internet: www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/forschung/fachbeitraege/wohnen-immobilien/immobilienmarktbeobachtung/mieten/wohnungsmieten.html;jsessionid=27A950B54F5A2EA41BE3F4020A03CE51.live21324 (abgerufen am 25.08.2021).
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