Das S in ESG
Autor
Robert-Christian Gierth
Blogbeitrag
Das S in ESG – Zukunftspotenziale der Assetklasse Büro
Wenn über die Offenlegungsverordnung (EU) 2019/2088 sowie die Taxonomie-Verordnung (EU) 2020/852 und die daraus resultierenden ESG-Kriterien für die Immobilienwirtschaft gesprochen wird, steht zumeist das E in ESG, also ökologische Verantwortung, im Vordergrund. Das liegt einerseits daran, dass viele Immobilienentwickler bereits entsprechende Strategien verfolgen und erkannt haben, dass Nachhaltigkeitszertifikate verkaufs- bzw. vermietungsfördernd wirken. Zum anderen bleibt das S in ESG, also die soziale Nachhaltigkeit, bislang für manche eher nebulös – insbesondere in der Assetklasse Büro.
Während es zu Themen wie Bezahlbarkeit, Teilhabe und Stadtrendite im Wohnungsbau zahlreiche gute Konzepte und erprobte Modelle gibt, steckt die Entwicklung gewerblicher Flächen diesbezüglich noch in den Kinderschuhen. Dabei kann mit intelligenten Lösungen auch in diesem Segment ein starker sozialer Impact erzeugt werden, der nicht nur im Rahmen der Transformation urbaner Räume enorme Potentiale birgt, sondern zugleich Chancen für Projektentwickler und Investoren bietet.
Kriterien für soziale Nachhaltigkeit
Im Kontext der ökologischen Nachhaltigkeit hat die Immobilienwirtschaft (zumindest beim Neubau) in jüngster Zeit gezeigt, dass sie in der Lage ist gleichzeitig profit- und gemeinwohlorientiert arbeiten zu können. Insofern ist es nur folgerichtig, sie auch bei der – neben dem Klimawandel – zweiten drängenden Herausforderung, nämlich dem Auseinanderdriften der Gesellschaft, in die Pflicht zu nehmen. Auch in diesem Bereich werden also Gesetzgebung und öffentliche Akzeptanz in den kommenden Jahren wachsenden Einfluss auf den langfristigen Erfolg von Investitionen nehmen. Um diesen absehbaren Investitionsrisiken vorausschauend zu begegnen und zukunftsfähig zu bleiben, braucht es also auch in der Assetklasse Büro messbare Kriterien für soziale Nachhaltigkeit. Hierbei gibt es drei klar zu definierende Wirkungsfelder: Nutzer, Community und Lieferketten.
Im nutzerspezifischen Kontext müssen zukunftsfähige Büroflächen vor allem Gesundheit, Wohlbefinden und Kommunikation fördern. Diese Erkenntnis hat sich im Zuge von Digitalisierung und ökologischen Nachhaltigkeitskonzepten bereits weitgehend durchgesetzt. Zugleich aber bieten sich zwei Maßnahmen an, die einen weitreichenderen gesellschaftlichen Impact erzeugen: eine Auswahl der Nutzer anhand klarer Nachhaltigkeitskriterien und eine diversifizierte Nutzungsstruktur, die bewusst auch bezahlbare Flächen für weniger zahlungskräftige aber gesellschaftlich relevante Unternehmen (etwa aus dem kulturellen Bereich) in die Planung integriert. In Kombination mit einer auch räumlich erfahrbaren Öffnung der Immobilie in den Stadtraum evoziert diese Maßnahme enorme Community-Mehrwerte und bietet zugleich die Chance für Empowerment fördernde Beteiligungskonzepte. Nicht weniger bedeutsam ist das dritte Wirkungsfeld: die Qualität der Lieferketten. Wenn es um verwendete Baustoffe geht, verlangt die EU-Taxonomie das Einhalten klarer sozialer, menschwürdiger Kriterien, zum Beispiel hinsichtlich Unterbringung, Bezahlung und Versorgung. Da sich diese Anforderungen nicht nur auf Neubau, sondern auch auf Refurbishments und die Bewirtschaftung beziehen, lassen sich hiermit über Immobilienprojekte also weit in die Gesellschaft hinein positive Effekte erzielen.
Eine neue Investmentqualität
All die hier geschilderten Maßnahmen sind geeignet, um in einem ausdifferenzierten ESG-Zielkorridor, der neben Ökologie und guter Unternehmensführung auch die soziale Verantwortung ernstnimmt, mittels eines intelligenten Scoring- und Reporting-Systems als gesellschaftlicher Mehrwert in die Messbarkeit und Belegbarkeit überführt zu werden. Komplexer verhält es sich indes mit der Kostenkalkulation. Während nämlich ökologische Nachhaltigkeitsmaßnahmen im Fokus der Immobilienentwicklung stehen und daher inzwischen als Mehrkosten in Höhe von 5-15 Prozent kalkuliert werden können, sind soziale Qualitäten eines Projekts zunächst eine inhaltliche Ausrichtung, welche die Erlöse der Nutzungsphase gestaltet. Daher ist es umso sinnvoller, Entwicklung und Bestandsmanagement in einer Hand zu belassen, um eine nachhaltige Kapitalallokation zu ermöglichen. Dabei ist festzuhalten, dass die eben genannten Investitionen im Kontext klimafreundlicher Maßnahmen eine Investition in die Zukunft darstellen, die sich in der Betriebsphase der Immobilie rasch amortisieren und langfristig zu Einsparungen führen.
Darüber hinaus gilt für den Bereich der sozialen Verantwortung dasselbe, was auch für ökologische Nachhaltigkeit gilt: ESG ist keine Sammlung zusätzlicher Ausstattungsmerkmale, die mit zusätzlichen Kosten belegt werden können, sondern ein Denken in Risiken und Antworten. Und wer das Risiko von „stranding assets“ minimieren möchte, tut gut daran, auch das S in ESG ernst zu nehmen. Denn nur über eine umfassende Realisierung der von den EU-Verordnungen intendierten ökologische und vom Gesetzgeber noch genauer zu definierenden sozialen Mehrwerte, lassen sich auch deren wirtschaftliche Potenziale als neue Investmentqualität heben.
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