Circular Real Estate als nächster Schritt bei ESG

12/07/2021

Autor

Dr. Peter Mösle

Dr. Peter Mösle

Partner der Drees & Sommer SE
Geschäftsführer der EPEA GmbH – Part of Drees & Sommer

Blogbeitrag

Wenn es darum geht, welche ESG-Strategie verfolgt werden soll und wie ihre Umsetzung aussieht, herrscht branchenübergreifend große Unsicherheit. Zwar weiß inzwischen fast jeder wichtiger Entscheider, wofür die drei Buchstaben stehen. Doch welche Anforderungen genau damit verbunden sind, auf welche Kriterien es ankommt und was sie für das eigene Unternehmen bedeuten, das wissen nur wenige. Fest steht: Nur eine Nachhaltigkeitsstrategie mit klaren Zielsetzungen sichert langfristig die Zukunft. In Hinblick auf Immobilienprojekte und -investments wird dabei das Thema Circular Economy künftig den entscheidenden Unterschied machen.

Fast jeder Projektentwickler, Bestandhalter und Investor hat mittlerweile erkannt, dass Nachhaltigkeit mehr als ein Trendwort ist. Grund dafür sind neben dem zunehmenden gesellschaftlichen Druck vor allem die sich verschärfenden regulatorischen Rahmenbedingungen. So sieht der europäische EU-Green Deal den größten Handlungsbedarf im Gebäudesektor. Und das auch zurecht, denn Gebäude und Infrastrukturen haben einen enormen ökologischen Fußabdruck. Um das zu ändern, muss die Bau- und Immobilienwirtschaft die von der EU geforderten ESG-Kriterien, welche die ökologischen, sozialen und unternehmerische Aktivitäten betreffen, erfüllen. Gleichzeitig macht es ein wahrer Begriffsdschungel und die Vielzahl an Regularien, nachhaltigen Standards und Labels äußerst schwer, sich zu orientieren. Das Resultat ist große Verunsicherung.

Um die ESG-Konformität sicherzustellen, ist es daher wichtig, zunächst auf übergeordneter Ebene den Begriffswirrwar zu ordnen, zu strukturieren und damit ein verbindliches Rahmenwerk zu finden. Jeder Investor und jedes Unternehmen muss für sich entscheiden, was wichtig ist: An welchen Kriterien lasse ich mich messen? Wie übertrage ich die ESG- Regularien in mein Unternehmen? Und wie soll das entsprechende Reporting später aussehen? Diese Fragen sollten im Fokus der Überlegungen stehen. Ob Geschäftsmodell, Produktdesign, Portfoliostrategie oder Immobilien- und Infrastrukturprojekt gilt es zudem, einen Überblick über den Status quo zu verschaffen.

Richtige Strategie ist entscheidend

Zwar positionieren sich immer mehr Unternehmen zum Thema ESG und sprechen bereits von ersten Strategien. Doch schaut man genauer hin, so stellt man fest, dass die richtigen Grundlagen vielerorts noch fehlen. Vor allem hapert es an dem Zusammenspiel zwischen der ESG-orientierten Unternehmensstrategie und deren Umsetzung. Die Frage, wohin der angestoßene Transformationsprozess führen soll, bleibt oft unbeantwortet. Dabei hängt die Auswahl der empfohlenen Maßnahmen, der notwendigen Tools und Reporting- Instrumenten stark von dem Zielbild ab. Will ein Unternehmen in Sachen ESG zum Beispiel Vorreiter werden, so werden der Aufwand aber auch die Chancen, groß sein. Beschränkt sich ein Unternehmen wiederum nur auf das Nötigste, hat es zwar einen kleineren Aufwand, bildet damit aber auch das Schlusslicht und muss sowohl mit finanziellen Risiken als auch Imageeinbußen rechnen. Nichtsdestotrotz sollte jedes Unternehmen sich dieser Frage stellen, um überhaupt die Grundlage setzen zu können und den richtigen Weg zur Transformation zu finden. Ohne diesen Schritt wird es schwierig, im großen ESG-Dschungel und der Vielfalt an Lösungen die passenden Tools und Strategien zu finden.

Digitalisierung als Enabler

Eine weitere Voraussetzung für eine erfolgreiche Transformation sind Daten. Denn Datenverfügbarkeit und Datenmanagement sind von zentraler Bedeutung für die Steuerung von nachhaltigen Aktivitäten. Umso mehr Informationen bereitstehen, umso besser können die Nachhaltigkeitsbemühungen und die ESG-Compliance der Unternehmen erfasst, gemessen und dargestellt werden. Nachhaltigkeit und Digitalisierung gehören daher unweigerlich zusammen. Die erforderlichen Datenströme beziehen sich dabei sowohl auf Gebäude, Portfolios oder Produkte als auch auf das Unternehmen selbst.

Um den Transformationsprozess

möglichst effektiv und wirtschaftlich zu gestalten, bedarf es zudem entsprechender Kompetenzen und Tools. Im ESG-Labyrinth sich mit eigenen Kräften zurechtzufinden, erfordert viel Zeit und Ressourcen, die zu wertvoll sind und die viele Unternehmen nicht mehr haben. Daher ist eine professionelle Unterstützung durch Experten und Berater empfehlenswert. Sie können beispielsweise ESG-Quick Checks und Screenings durchführen und mithilfe von bestimmten ESG-KPIs eine Unternehmens- und Risikobewertung vornehmen, die Chancen und Potenziale zuverlässig aufzeigt. Auch dringende Handlungsfelder und effektive Maßnahmen können auf diese Weise besser identifiziert werden. Am Ende entsteht so eine spezielle ESG Roadmap und auf das Unternehmen zugeschnittene ESG-Strategie mit optimalen Umsetzungsmaßnahmen.

Zeit für Circular Real Estate

Eine besondere Rolle innerhalb von ESG-Strategien wird künftig das Thema Circular Economy, also konsequente Kreislaufwirtschaft, spielen. Sie ist ein wichtiger Baustein des EU-Green Deals und gilt als entscheidender Faktor in Sachen Klimaschutz und Ressourcenschonung. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Entwicklungen wie Industrialisierung, Urbanisierung und Konsumgesellschaft führen dazu, dass seit Jahrzehnten immense Mengen an natürlichen Ressourcen verbraucht werden und immer mehr Abfall entsteht. Als größter Verbraucher der weltweiten Rohstoffe und Verursacher von über 30 Prozent der CO2-Emissionen gilt dabei die Bauwirtschaft. Kein Wunder: Für sie stand jahrzehntelang die Frage der Energienutzung und -effizienz in den Gebäuden im Fokus. Dafür wurden aber immer mehr wertvolle Rohstoffe eingesetzt. Um die Klimaziele und die ESG- Anforderungen zu erfüllen, reicht die Energiewende allein jedoch nicht aus. Denn langfristig werden wir keinen Mangel an Energie, sondern an Rohstoffen haben. Genau deshalb führt künftig auch kein Weg an Circular Economy vorbei. Der zukunftsweisende Ansatz hat die Natur zum Vorbild und zielt auf die Nutzung von Rohstoffen in potenziell unendlichen Kreisläufen ab.

Die gute Nachricht ist: Mit dem EU Green Deal und dem darin enthaltenen Circular Economy Action Plan kommt auch mehr Tempo in das bisher langsame Umdenken vom linearen Effizienzpfad hin zu einer Circular Economy. Das Bewusstsein der Bau- und Immobilienakteure für die Bedeutung und Vorteile einer konsequenten Kreislaufwirtschaft wächst vom Tag zu Tag weiter. Vielmehr noch: Es zeichnet sich hier eine deutliche Entwicklung in Richtung Circular Real Estate, also eine kreislauffähige Immobilienwirtschaft, ab. Ein Konzept, das dabei branchenübergreifend immer mehr Zuspruch findet, heißt Cradle to Cradle, kurz C2C. Vorzeigebeispiele für kreislauffähige und gesunde Gebäude sind aktuell Projekte wie das Wohnhochhaus Moringa in Hamburg, das Bürogebäude The Cradle in Düsseldorf oder das Feuerwehrhaus in Straubenhardt.

Gebäude als Rohstoffbanken

Für Investoren, Projektentwickler und Bauherren stellt Circular Economy nicht nur eine große Innovationschance dar, sondern bietet auch einen klaren betriebswirtschaftlichen Nutzen. So haben die Berechnungen von Drees & Sommer und TS Advisory ergeben, dass Bauen nach dem Circular Economy-Konzept Cradle to Cradle eine Wertsteigerung von bis zu zehn Prozent in Relation zu konventionellen Gebäuden ermöglichen kann. Denn das für die Baustoffe gebundene Kapital geht nicht vollends verloren wie heute üblich, sondern wird ähnlich einer mittel- bis langfristigen Wertanlage wieder mit der Wiederverwertung freigegeben. Die Immobilie wird damit zum Rohstoffdepot, dessen Wert in Zeiten einer sich verschärfenden Rohstoffknappheit zudem kontinuierlich steigen kann. Welche Produkte eingesetzt wurden, wie umweltfreundlich und gut recyclebar sie sind, kann dabei in einem von Drees & Sommer und EPEA entwickelten Building Circularity Passport® festgehalten werden. Mit der vor Kurzem in Deutschland gegründeten Plattform Madaster besteht zudem die Möglichkeit, die in den Immobilien gebundenen Rohstoffwerte transparent darzustellen. Denn das digitale Materialkataster stellt nicht nur Informationen über die Herkunft und Qualität von Bauprodukten zur Verfügung, sondern bietet auch eine Grundlage für die Ermittlung von material- und gebäudespezifischen Kennzahlen. All diese Daten können in die künftigen ESG-Berichte einfließen und die Erfüllung der Anforderungen begünstigen.

Kurzum: Ob Investor, Bestandhalter oder Projektentwickler – die ESG-Performance wird die Grundlage für eine zukunftssichere Profi­tabilität bilden. Immobilien- und Bauprojekte müssen dafür gleichermaßen digitalisiert als auch klima- und ressourcenfreundlich sein. Einen entscheidenden Vorteil und nächsten Schritt bei ESG stellt dabei Circular Real Estate, also kreislauffähige Immobilienwirtschaft, dar. Wichtig ist zudem, das Big Picture nicht aus den Augen zu verlieren. So wäre es ein falscher Ansatz, sich zu fragen, wie man ein Gebäude oder eine Investition ESG-konform gestaltet. Denn es geht um weit mehr als bloßen Fragen des Immobilienbestands und Einzel­aspekte eines Unternehmens. Stattdessen gilt es, das Zusammenspiel von Energie, Technik, Mobilität und Circular Economy genauso wie den Status Quo der digitalen Transformation zu betrachten. ESG ist nur ein Teil des großen Ganzen.

 

Dies ist ein Auszug aus unserer Publikation ESG Kompakt - Das Magazin für die institutionelle Immobilienwirtschaft zum Thema Nachhaltigkeit, ESG und Circular Real Estate.

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