ESG vs. Impact Investing: Nach dem Versuch die Kür

11/02/2021

Autor

Umut Ertan

Umut Ertan

Gründer und Gesellschafter

Schweizer Kapital Gruppe

Blogbeitrag

Anfang Juni hat die US-Behörde NOAA (National Oceanic & Atmosperic Administration) bekannt gegeben, dass die CO 2 -Konzentration in der Atmosphäre so hoch ist wie noch nie seit Messbeginn im Jahr 1958. Und das trotz des durch die Pandemie verursachten Emissionsrückgangs. Dass der Luftverkehr im vergangenen Jahr praktisch zum Erliegen kam, reicht somit nicht aus, um die Trendwende einzuleiten und das Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Eine Wirtschaft, die vollständig auf erneuerbaren Energien basiert, ist unumgänglich.

Etwa 40 Prozent des gesamten deutschen Endenergieverbrauchs gehen auf das Konto des Gebäudesektors. Doch die Implementierung der ESG-Kriterien fällt vielen Unternehmen schwer: Die wirtschaftlichen Vorteile sind nur langfristig spürbar, Investoren scheuen sich vor kapital­intensiven Maßnahmen, und die Bereitschaft der Mieter, höhere Preise für zertifizierte Immobilien zu entrichten, wird – häufig zurecht – angezweifelt. Als Unternehmer haben wir jedoch eine soziale Verantwortung gegenüber unseren Mitarbeitern und Kunden. Mit einer ESG-Zertifizierung wird zumindest der Versuch unternommen, diese gesellschaftliche Verantwortung und das Gerechtigkeitsgefühl zu befrieden. Doch was wäre der nächste Schritt, die Kür?

Der Bedarf an Geschäftsmodellen zur Erzeugung erneuerbarer Energien ist nach wie vor hoch, doch der Zubau bei der Windenergie und Photovoltaik kommt an seine Grenzen. Die Entwicklung bahnbrechender Technologien zur sauberen Energiegewinnung und zum Einsatz dieser Energie in Gebäuden für Heizen aber auch Kühlen, das mittel- bis langfristig aufgrund des Klimawandels immer bedeutsamer wird, ist nach wie vor unabdingbar. Und die Nachfrage ist groß, denn nicht nur der Immobiliensektor, auch die Sektoren Verkehr und Industrie (knapp 60% des gesamten Energieverbrauchs in Deutschland) schaffen die Energiewende nur mit attraktiven Alternativen zu Kohle, Gas und Öl.

So verwundert es nicht, dass der Bereich Energie im Impact Invest­ment den bei weitem größten Sektor darstellt. Gleichzeitig ist die Energieversorgung eine wichtige Quelle für wirtschaftliches Wachstum. Viele Studien legen nahe, dass das Wachstum des Energieverbrauchs mit dem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes im direkten Zusammenhang steht: Beispielsweise haben Energiekrisen und damit die hohen Energiepreise in den 1970er Jahren das Wirtschaftswachstum maßgeblich verlangsamt. Im Zeitalter von Elektromobilität, Kryptowährungen und Serverfarmen werden dieser Effekt und die Abhängigkeit umso gravierender. Gleichzeitig ist die Wirkungsmessung bei keinem anderen Sektor so deutlich. Auf erneuerbare Energien zu setzen ist damit eine relativ sichere und skalierbare Kapitalanlage. Denn: Die besten Ideen entstehen immer dann, wenn es um die Lösung eines großen Problems geht. Und welches Problem ist größer, als die weltweite Klimaveränderung?

Ein Beispiel für eine Innovation im Bereich der erneuerbaren Energien ist die Firma Sinn Power aus Gauting. Das junge Unternehmen setzt auf fortschrittliche Energiegewinnung aus Meereswellen. Mit seiner Ocean Hybrid Platform, die Wellenkraft um Photovoltaik- und gar Windkraftelemente ergänzt, entsteht Tag und Nacht ein kon­stanter Energiefluss, der insbesondere Küstenregionen und Inseln zur Energieautarkie verhilft. Dagegen hat das Münchner Start-Up kiteKRAFT eher ländliche Regionen im Visier: Landwirte oder Unternehmen abseits der Küsten, für die Windkraftanlagen zu groß oder schlichtweg zu teuer sind. Mit ihren preislich erschwinglichen Kitekraftanlagen, die, je nach Windverhältnissen, in verschiedenen Höhen eine Acht fliegen, konzentriert sich das junge Unternehmen auf saubere und kostengünstige Energiegewinnung.

Die Schweizer Firma Green Y setzt dagegen auf die effektive Energienutzung in Gebäuden: Die Kombination eines Stromspeichers mit einer Heiz- und Kühleinheit in einem dezentralen Gerät ermöglicht die Integration von erneuerbaren Energien im großen Stil. Effizientes Heizen und Kühlen wird somit direkt im Gebäude ermöglicht, wo die thermische Energie benötigt wird. Die Wärmeenergie kann beispielsweise für die Bereitstellung von Warmwasser und die Raumheizung genutzt werden und die Kälte für die Kühlung des Gebäudes – und das nur mit Luft und Wasser als Betriebsmittel.

Diese sind nur drei der Beispiele für Innovationen „made in Germany“ und „made in Switzerland“. Noch immer sind diese Begriffe weltweit ein Gütesiegel für Qualität und Zuverlässigkeit. Und wir alle sitzen quasi „an der Quelle“, denn das Wissen dazu kommt direkt aus den besten Universitäten Europas wie der ETH Zürich oder der Technischen Universität München. Welch bessere Voraussetzungen kann es da geben, um in disruptive Technologien zu investieren? Denn dass der Markt boomt, steht inzwischen außer Frage. Wurde der Elektrowagen-Fahrer vor zwei Jahren noch von vielen belächelt (oder gar bemitleidet), versuchen nun alle großen deutschen Automobilhersteller, die verpasste Chance der letzten Jahre aufzuholen, im Galopp. Auch der Immobiliensektor steht nun an diesem Wendepunkt. Lässt man aus Unternehmer- und Anlegersicht diese Chance aus, holt es in wenigen Jahren die Unentschlossenen unweigerlich ein. ESG ist nicht die Zukunft, es ist das Heute, es ist unabdingbar. Doch die Kür, das Impact Investing, ist, auch wirtschaftlich gesehen, noch viel größer. Und dieses darf man nicht den ausländischen Investoren oder ein paar wenigen „mutigen“ Unternehmern überlassen. Denn dafür ist es schlichtweg zu bedeutend für uns alle.

Dies ist ein Auszug aus unserer Publikation ESG Kompakt - Das Magazin für die institutionelle Immobilienwirtschaft zum Thema Nachhaltigkeit, ESG und Circular Real Estate.

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