Wie kann soziale Nachhaltigkeit gemessen werden?

05/27/2021

Autor

Dr. André Scharmanski

Dr. André Scharmanski

Head of Research

Quantum Immobilien KVG mbH

Blogbeitrag

Die Abkürzung „ESG“ für Umwelt (Environment), soziale Aspekte (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance) ist im Bereich der nachhaltigen Geldanlagen mittlerweile die populärste Definition von Nachhaltigkeit. Die drei Dimensionen von ESG sollen ein umfassendes und ausgewogenes Bild der Nachhaltigkeit zeichnen. „Nachhaltig“ bedeutet also nicht nur „grün“, sondern eben auch sozial.

Die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit findet bereits in vielen Unternehmens- und Anlagestrategien Berücksichtigung. Die Erfassung relevanter Verbrauchsdaten zu Energie, Wasser, Abfall und auch die Feststellung der gebäudespezifischen Emissionen ist immer öfter Bestandteil von Berichtstandards und Benchmarks, die mit messbaren wissenschaftlichen Kriterien eine branchenweite Vergleichbarkeit ermöglichen. Ungleich schwerer zu definieren – geschweige denn zu quantifizieren – sind soziale Kriterien.

Die Operationalisierung und Integration von sozialen Kriterien in die Geschäftstätigkeiten der Investmentbranche wird derzeit noch häufig nachranging behandelt, ist aber nicht weniger wichtig. Ende 2021 will die EU-Kommission einen Bericht dazu vorlegen, wie die Taxonomie auf soziale Nachhaltigkeitsziele, basierend auf den Sustainable Development Goals, ausgedehnt werden kann. Die bisher bekannte mögliche Struktur einer solchen sozialen Taxonomie sieht die drei Kategorien Menschenrechte, Governance und die Förderung adäquater Lebensbedingungen mit jeweils eigenen Zielen vor. Für die Immobilienwirtschaft dürfte die dritte Kategorie besonders relevant sein, die beispielsweise die Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse (zu denen auch Wohnen gezählt wird) erfasst. Wie aber lässt sich soziale Nachhaltigkeit bei Wohnimmobilien messen?

Anders als bei den ökologischen Kriterien, wie Energieverbrauch oder CO2-Emissionen, reichen relevante soziale Kriterien häufig über die Objektebene hinaus und müssen im lokalen Kontext bewertet werden. Hochpreisiger Wohnraum etwa wirkt auf den ersten Blick wenig sozial und kann zu Verdrängungseffekten und Gentrifizierung führen. Andererseits besteht bei Quartieren mit ausschließlich gefördertem Wohnraum die Gefahr der Ghettoisierung. Für eine adäquate Mischung innerhalb eines Quartiers müssen Wohnungen an Familien, an Alleinstehende, an Ältere, an Jüngere, an Einkommensschwächere und Einkommensstärkere vermietet und marginalisierte Gruppen nicht diskriminiert werden – nicht nur innerhalb einer einzelnen Immobilie, sondern auch auf Quartiers- und städtischer Ebene. Generell ist also oft die Nachbarschaft, die nicht vollständig im Zugriffsbereich des Investors liegt, in die Beurteilung der sozialen Nachhaltigkeit mit einzubeziehen. Nutzungen wie Kindergärten oder großzügige Grün- und Gemeinschaftsflächen gelten als sozial, werden aber nicht in jedem Objekt (wohl aber für jede Mieteinheit in der näheren Umgebung) benötigt. Bei der Bewertung sozialer Kriterien empfiehlt sich daher eine Differenzierung nach Objekt- und Quartiersebene sowie eine Berücksichtigung der jeweiligen Vermietungsstrategien der Wohnungsunternehmen.

Auch der Querbezug zu den anderen beiden Dimensionen der Nachhaltigkeit (ökologisch und ökonomisch) ist zu berücksichtigen und wiederum lokal in Bezug zu setzen. In angespannten Wohnungsmärkten ist die Schaffung von Wohnraum unbedingt notwendig und sozial nachhaltig. In anderen Märkten mit einem ausreichenden Angebot ist das ökologische Ziel der Vermeidung von Flächenneuinanspruchnahme wiederum vorzuziehen. Ähnliche Beispiele lassen sich für viele weitere Kriterien finden. Deutlich wird, dass wir für die Messung der sozialen Nachhaltigkeit nicht nur eine Handvoll verpflichtender Indikatoren benötigen, sondern eine Art Baukasten verschiedener quantitativer und qualitativer Kriterien, die objektspezifisch und mit lokalem Bezug angesetzt werden können. Nichtsdestotrotz muss ein solcher Katalog branchenweit anerkannt und wiederum für die mögliche kommende soziale Taxonomie anwendbar sein.

Auch wenn die Datenerhebung und Berechnung für ökologische Kriterien uns bereits vor große Herausforderungen stellt und viele Kapazitäten beansprucht, dürfen wir auch die soziale Nachhaltigkeit nicht aus dem Blick verlieren. Für die soziale Stabilität gerade in unseren Städten ist eine adäquate und bezahlbare Wohnungsversorgung von ganz entscheidender Bedeutung. Eine Projektgruppe der gif Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V. unter der Leitung der Quantum Immobilien Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH und der BPD Immobilienentwicklung GmbH beschäftigt sich unter Mitwirkung von Experten aus privaten und kommunalen Wohnungsunternehmen sowie aus den Bereichen Investment und Projektentwicklung mit der Erarbeitung eines Kriterienkatalogs zur Messung der sozialen Nachhaltigkeit bei Wohnimmobilien.

Co-Autor

Lisa-Maria Homagk

Lisa-Maria Homagk

Research / Nachhaltigkeit

Quantum Immobilien KVG mbH

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